In Teil Eins unserer Serie über Bars in New York haben wir die großen Namen präsentiert, die man von internationalen Bestenlisten kennt. In diesem Teil präsentieren wir weniger bekannte Namen – die nicht minder qualitativ sind.
Mit insgesamt 13 Bars in den World’s 50 Best Bars North America und immerhin noch stolzen acht in den World’s 50 Best Bars kann man es sich bei einem Besuch in New York natürlich leicht machen und gezielt diese Bars ansteuern (siehe Teil Eins). Doch eine Stadt wie New York hat natürlich mehr zu bieten, und so gibt es eine große Auswahl an Bars, die die Qualität besitzen, mit den ganz Großen mitzuspielen, dies das aber aus verschiedenen Gründen nicht können – oder wollen. Manuel Bieh war in New York unterwegs und hat erkundet, was die Stadt an versteckten Juwelen zu bieten hat.
Shinji’s ist das neue Baby des Teams hinter der mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Noda Sushi Bar und befindet sich auch genau neben dieser im Flatiron District in Manhattan. Die Bar ist eher klein, mit gedämpfter Beleuchtung und gehobener Einrichtung ausgestattet. Das Innendesign mit einem halbrunden Tresen und elegant beleuchteter Backbar wirkt eindrucksvoll. Eindrucksvoll sind auch die Preise, die selbst für Manhattan-Standards im oberen Bereich liegen. Dafür gibt es aber auch wundervolle Eigenkreationen mit Zutaten, die sonst eher in der Sterneküche ihren Einsatz finden, wie frischen Wasabi oder geröstete Paprika. Zum Erlebnis wird hier der „Hot Cold Toddy“, der laut Liste der Zutaten „Science“ und „Magic“ enthält. Anders lässt sich dieses Geschmackserlebnis vermutlich wirklich nicht besser beschreiben. Das Barfood steht dem Essen in Sachen Hochwertigkeit der sterneprämierten Schwester-Bar in nichts nach, und so gibt es hier Kartoffelchips auf Wunsch mit Kaviar, das Käsesandwich wird mit Trüffel serviert, und für den Liebhaber eines ordentlichen japanischen Steaks gibt es Sandwiches mit Wagyu Beef. Auch bei der Arbeitstechnik wird man kreativ: Flüssigstickstoff wird zum Kühlen der Gläser benutzt und nach Gebrauch mit einem eleganten Wurf ins Getränkeregal „entsorgt“, wo es für einen effektvollen Regen aus verdampfenden Tröpfchen sorgt. Apropos Getränkeregal: Laut eigener Aussage enthält dieses die größte Auswahl an japanischen Whiskys in NYC. Eine perfekte Bar, um selbst barerfahrene Geschäftspartner aus der New Yorker High Society zu beeindrucken, die aber auch als einfacher Tourist einen Besuch wert ist.
Wer das Chinato (gesprochen wie der italienische Digestif [kiˈnaːto]) in der Lower East Side betritt, dem wird zuerst das ungewöhnliche Layout der Bar auffallen. „Ich möchte gern an der Bar sitzen“ – gar kein Problem, und so wird der Gast zur Mitte des Raumes geführt, in dessen Zentrum sich eine Bar-Insel mit zwei Stationen befindet. Der Name der Bar ist bewusst mehrdeutig gewählt. Neben dem eingangs erwähnten italienischen Digestif, dem Betreiber Ray Zhou laut eigener Aussage verfallen ist, spiegelt er auch dessen Reise aus dem Nordosten Chinas nach New York wider („China-to“). Dementsprechend ist auch die Karte asiatisch beeinflusst: In den Drinks finden sich Lychee, Shochu oder Edamame, die Speisekarte, die zur Eröffnung Ende 2023 von Zhaojin Dai, Sous Chef des mit zwei Michelin-Sternen prämierten Restaurants Jung Sik, entwickelt wurde, enthält ebenfalls typisch asiatische Zutaten in Gerichten wie dem Sesam-Hoisin-Steak-Tartar oder Bao Buns mit geräuchertem Pork Belly. Umgeben von einigen der 50 Best Bars in unmittelbarer Nähe, stehen die Chancen, in dieser noch relativ neuen Location abseits der Stoßzeiten auch ohne Reservierung einen Platz zu finden. Das Essen und vor allem die spannende Karte mit den gut umgesetzten Signatures ist es allemal wert. Wenn es also im Double Chicken Please nicht mit dem Einlass funktioniert, findet man im nur zwei Blocks entfernten Chinato Barfood und Drinks, die mithalten können.
Wer einmal die Definition einer entspannten Nachbarschaftsbar am eigenen Leib erfahren möchte, dem sei ein Besuch in der Bar Belly in der Lower East Side ans Herz gelegt. Schlichtes Interieur trifft auf lockere Atmosphäre, auf faire Preise und in Folge auf ein Publikum, das ausgelassen gute Laune hat. Die tägliche Happy Hour, in der es Austern für gerade einmal einen Dollar gibt, trägt sicher ihren Teil dazu bei. Die Bar ist in der Nachbarschaft äußerst beliebt, wer also gern einmal Austern für einen Dollar essen möchte, der sollte frühzeitig seinen Platz sichern. In der relativ kleinen Bar kann es auch unter der Woche bereits früh voll werden. Doch nicht nur wegen der günstigen Austern lohnt sich ein Besuch. Auch die Drinks, die in Manhattan mit durchschnittlich 18 Dollar zu den günstigeren gehören, können sich sehen bzw. schmecken lassen. Die Bar ist in den mittlerweile zwölf Jahren ihres Bestehens untypisch mit ihrer lockeren, fast schon nach Studentenkneipe anmutenden Einrichtung. Das Team wurde 2024 jedoch als US-Barteam des Jahres bei den Tales of the Cocktails nominiert. Betrachtet man die Stimmung in der Bar, die Qualität der Drinks und des Services, ist diese Nominierung mehr als verdient. Die Bar überzeugt auf ganzer Linie durch ihren lockeren Vibe, leckere Drinks und gutes Barfood.
Fragt man Bartender nach Tipps, welche neuen „Under the Radar“-Bars in New York definitiv einen Besuch wert sind, fällt nicht selten der Name Paradise Lost. Eine Tiki-Bar. Eine Tiki-Bar?! Ja, eine Tiki-Bar. Aber was für eine. Wer hier an zu süße Drinks in Tiki-Mugs denkt, wird … nun ja, zumindest zum Teil enttäuscht, zum Glück. Das Paradise Lost versteht es ausgezeichnet, Drinks ins Tiki-Format zu bringen und hochklassige Cocktails in fancy Tiki-Bechern neu zu interpretieren. Etwa beim „Lesser Key Martini“, bei dem ein eigener Kokosnuss-Pistazien-fat-washed Rum zum Einsatz kommt und sich mit matcha-infusioniertem Gin sowie japanischem Wermut die Show teilt. Von der Einrichtung bis zur Karte ist die Bar mit sehr großer Liebe zum Detail gestaltet – vielleicht etwas kitschig, aber absolut stimmig ins Konzept passend. Die Toiletten bieten eine eigene kleine Horrorshow, und wer den richtigen Drink bestellt, bekommt auch schon mal eine sehr effektvolle Feuershow am Tisch serviert. Selbst die Tiki-Mugs hat die Bar eigens entwickeln lassen und vertreibt diese nebenbei als Merchandising-Artikel – für den baraffinen Touristen sicherlich ein etwas anderes Urlaubssouvenir. Das Paradise Lost bietet seinen Besuchern jedenfalls ein Erlebnis, wie man es selten findet. Allzu häufig werden Präsentation und Showeffekte genutzt, um von der mittelmäßigen Qualität der Drinks abzulenken und den Fokus auf andere Dinge zu lenken. Jedoch geht das Paradise Lost hier keinerlei faule Kompromisse ein. Und so stimmt hier nicht nur die Präsentation mitsamt ihren Effekten, sondern auch die Qualität der Drinks.
Etwas älter, nämlich bereits seit 2019 und direkt um die Ecke des Paradise Lost, befindet sich Mister Paradise. Trotzdem ist die Ähnlichkeit beim Namen rein zufällig, versichert Bartender Kian Brown. Die Einrichtung der Bar geht in Richtung Art-déco-Stil, bleibt dabei aber angenehm minimalistisch. Auffällig ist der grün gekachelte und hell beleuchtete Halbkreis an der Rückwand der Bar, der für hohen Wiedererkennungswert sorgt. Die Stimmung ist locker, später am Abend wird es hier auch schon mal etwas lauter. Die Bartender agieren gleichzeitig auch als Entertainer – aber in einer Art, wie man sie in so angenehmer Form nicht häufig sieht. Die gute Laune im Team ist auch den Servicekräften anzusehen und überträgt sich auch auf die Gäste. Die Drinks sind ausgefallen und teilweise recht komplex. Die Karte ist klein, wechselt aber regelmäßig und enthält Signatures mit wohlklingenden Namen wie Party Lobster, Cowboy Alex oder Cougar Magnum. Wie in so vielen New Yorker Bars wird auch hier Barfood serviert, jedoch könnte man dieses im Vergleich schon fast als zünftig bezeichnen. Serviert werden Burger im Potato Roll, French Fries und Krabbentoast mit Crème Fraîche.
Etwas unter dem Radar läuft auch die Bar Goto. Verwunderlich, gibt es diese doch bereits seit 2015. Und hört man sich unter Bartendern um, zählen der Sakura und der Goto Martini zu einigen der besten Martinis der Stadt. Einig ist man sich in der New Yorker Barszene auch darüber: das Kombu Celery gehört zum besten Barfood der Stadt. Sellerie? Jawoll! Wer einmal in den Genuss dieses überraschend komplexen Gerichts gekommen ist, wird nur zustimmen können. Sonst geht es in der Bar Goto eher ruhig zu. Die Einrichtung ist japanisch anmutend – schlicht, aber hochwertig. Die Bar befindet sich nur wenige Minuten entfernt von den deutlich bekannteren 50 Best Bars-Vertretern Superbueno, Double Chicken Please und Attaboy. Sie mag in deren Schatten stehen, verstecken muss sich die zurückhaltende Bar jedoch nicht: Die Drinks können mithalten, das Barfood sucht seinesgleichen und auch der Service ist erstklassig. Unter Kennern der New Yorker Bar-Szene ist die Bar Goto längst kein Geheimtipp mehr. Für die Liste der 50 Best Bars hat es dennoch bisher nicht gereicht, was einmal mehr zeigt, dass diese Liste nicht das Maß der Dinge ist – die Bar kann qualitativ ganz klar mit den ganz Großen mithalten.
Bars in New York
Teil Zwei – Die Underdogs
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In der Jahreszeiten Bar in München findet ein Spagat zwischen Institution und Innovation statt. Bei den Mixology Bar Awards hat das die Hotelbar in diesem Jahr bereits auf die Short List gebracht. Wir sprechen mit Barchef Aleksandar Vujin und Corporate Director Bars Serhan Kusaksizoglu über den Spagat zwischen Tradition und Innovation.
Zunächst einmal: Die Bar des „Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski München“ heißt Jahreszeiten Bar; nicht vier oder zwei oder sonstwieviele Jahreszeiten. Einfach nur Jahreszeiten Bar. Das muss man erklären, denn ansonsten ist die klassisch gehaltene American Bar auf der Pracht- nämlich Maximilianstraße selbsterklärend.
Schon der Gang zum Tresen gestaltet sich nicht schwer, einfach nach der Lobby links die Stufen hoch. Man könnte stattdessen auch rechts gehen und befände sich dann in der Zigarrenlounge. Für diese holt man sich in der Lobby oder an der Bar ein Tagesticket für 35 Euro – oder wird Monatsmitglied für 500 Euro beziehungsweise Jahresmitglied für 2.800 Euro; wenn schon, denn schon.
Deswegen aber sind wir nicht hier. Sondern um Aleksandar Vujin zu treffen, Lobby- und Barmanager der Jahreszeiten Bar, der, wenn man Glück hat, zum Frühstück einen Sazerac, einen 36-jährigen Port Ellen sowie eine Maultaschensuppe vor dem Herrn serviert. Eine Rinderbrühe dieser Natur kennt man eigentlich nur von Charles Schumann, und selbstverständlich folgen Gespräche über das Potenzial von „Broth-Drinks“, die es auf dem ersehnten Niveau lediglich im Pariser Le Syndicat gibt. Anderes Thema, anderer Artikel.
In dem vorliegenden geht es darum, wie man dieser Tage den Spagat schafft, in einer Hotelbar, die seit 1960 existiert, den Stammgast gleichermaßen zu bedienen wie hippe Münchener:innen oder internationale Barflys. Wie kann man dem cocktailaffinen Menschen klarmachen, dass hier Saisonales und Lokales, Neues aber auch Verlässliches geschieht? Es ist eine Herausforderung, wenn auch eine lieb gewonnene – zumindest laut Vujin: „Man braucht Zeit, das Konzept und die Idee zu verstehen und das mit den eigenen Perspektiven zu verbinden. Man braucht Geduld und außerdem einen Business Plan. Vertrauen in die gemeinsame Sache und Unterstützung vom Management sowie tolle Mitarbeiter machen den Rest.”
Es ist so eine Sache mit alteingesessenen Hotelketten: Wie boxt man Dinge durch, intern wie extern? Man muss es meist vielen recht machen; denen, die seit 30 Jahren herkommen und auf denselben Drink bestehen, den Maximilianstraßen-Flaneur:innen und den Neugierigen: „Die Jahreszeiten Bar gibt es schon sehr lange. Unser Ziel ist es, die Bar in Deutschland und global als eine Bar-Oase mit bester Trinkkultur berühmt zu machen. Wir wollen auch mit internationalen Bars auf einer Ebene ist“, erklärt Serhan Kusaksizoglu, Corporate Director of Bar & Concepts für die Kempinski-Gruppe. Die Aufgabe des von allen „Papa Charly“ genannten ist es, die globalen Kempinski-Bars zu prüfen und zu sehen, was an welcher Stelle besser geht. Ein Beispiel wäre die neue Elephant Bar im Berliner Adlon.
Vujin wiederum ist im slowenischen Bled geboren, einem wunderschönen Luftkurort in den Ausläufern der Julischen Alpen, rutschte im Teenageralter schnell in die Gastro zum Aushelfen, mischte, wie viele früher, Cuba Libre. Er wurde Chef de Bar in St. Jakob, Commis de Bar im Schloss Elmau, dann Barmann im Berliner Adlon Kempinski. Für weitere (knappe) zwei Jahre ging es dann ins Claridge’s nach London, von dort aus ins Münchener Sofitel, bis er vor drei Jahren in der Jahreszeiten Bar anfing. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass er die Hotelbar-DNA verstanden hat.
Das Hotel an sich gibt es seit dem Jahr 1858, hundert Jahre später bot es das teuerste Hotelzimmer des Landes an, seit 1960 ist die Jahreszeiten Bar ein Ort, an dem Jung und Alt, schwerreich und gewöhnliches Gönnertum zusammenkommen. Am Beginn der aktuellen Transformation stand zunächst daher die Karte. „Die Idee mit dem Format kommt von mir, da ich dieses Konzept in anderen Hotels von uns kreiert habe. Natürlich wurden die Drinks und die Storyline der Jahreszeiten Bar angepasst und nicht einfach kopiert. Mir gefallen besonders die handgemalten Skizzen der Cocktails, die den Gästen eine andere Sicht von Drinks und Geschmacksnuancen bieten. Aleksandar und sein Team haben alle Drinks selbst kreiert und umgesetzt“, erklärt Kusaksizoglu, der viel in Asien unterwegs ist. Das Menü ist auf Art-déco Weise gestaltet und den tatsächlichen vier Jahreszeiten angepasst, pro Saison gibt es vier verschiedene Signature Drinks. „Wir empfehlen den The Derby mit Michter’s Bourbon, Martini Rubino, Dry Orange Curaçao und Zitrone“, so Vujin.
Ein anderer Aspekt, die Hotelbar auf zeitgemäße Art zu etablieren, wären Gastschichten. „Wir arbeiten daran, internationale Top-Bars aus der ganzen Welt nach München zu holen und unseren Gästen unvergessliche Abende mit interessanten Konzepten und verschiedenen Kulturen und Geschmäcker zu bieten.“ Zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Textes, beispielsweise, mischt Giorgio Bargiani aus der Londoner Connaught Bar am Jahreszeiten-Tresen. Passend, denn der Renner dieser Tage sind American Style-Drinks, also Martini, Old Fashioned, Boulevardier oder Negroni. So auch im neuen Menü; hier ist der Fig Old Fashioned der Bestseller. Dieser besteht aus Macallan Sherry Oak 12y, Feigen-Orgeat, White Miso und Bitters.
Und wie ist die alkoholfreie Lage in München, dem internationalen Klischeeort des biertrinkenden Deutschen? Auf der aktuellen Karte befindet sich ein alkoholfreier „Heyday“ aus Quitte, Butter und Zitrone, der als Milk Punch serviert wird; direkt zur ersten Verkostung des neuen Menüs probiert und für exzellent befunden. Cremiger, aber dennoch leicht, dabei klar konturiert – filigraner und origineller wird’s alkoholfrei kaum mehr.
Auch so geht Transformation.
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Zwei kleine Paukenschläge gab es diese Woche aus der Barszene in Berlin-Neukölln. Mit nur einem Tag Abstand haben dort Vito Nicotra seinen Abschied aus dem Truffle Pig (gemeinsam mit dem Kollegen Giacomo Gaggero) und Damien Guichard aus dem Wax On verkündet. Noch nicht davon gehört? Dann am besten unseren wöchentlichen Newsletter abonnieren, wo wir die Meldungen verkündet haben – und wo wir auch verkünden werden, was die Drei weitermachen werden, sobald wir von diesen Plänen erfahren. Außerdem haben wir noch einen monatlichen Cocktail-Newsletter mit den besten Drinks aus unserem Archiv, den wir jeden ersten Dienstag im Monat versenden. Also auch diesen gerne abonnieren – und jetzt springen wir direkt in die Inventur.
In einem Text für VinePair legt Autorin und Bartenderin Jena Ellenwood war, wie sich die Anzahl von Frauen in Cocktail-Competitions in den letzten zunehmend verschoben hat. „Männlich und meist weiß. Das war eine ziemlich genaue Momentaufnahme dessen, wer in den späten 90er Jahren und Anfang der 80er Jahre hinter der Bar stehen durfte. Cocktailbars waren ein Synonym für Männer mit Schnurrbartwachs; wenn es weibliche Angestellte gab, wurden sie in der Regel zum Tragen von Tabletts verdammt, selbst wenn sie Interesse an einer Beförderung zeigten“, schreibt sie. Erhellend ist neben der Einsicht, dass sich die Dinge endlich zum Positiven und zur Gleichstellung hin geändert haben, auch die Tatsache, wie stark sich in einem bestimmten Teil der US-Barszene das Narrativ von Charles Schumann als frauenfeindlichem, alterm weißen Mann festgesetzt zu haben scheint, nachdem 2019 einige seiner Kommentare aus dem Zusammenhang gerissen worden waren. Auch Ellenwood schlägt in diese Kerbe. Unseren Text von damals, mit dem wir eine Einordnung der Situation unternommen hatten (und auch ins Englische übersetzt hatten), hat sie scheinbar nicht gelesen.
Für diesen ausführlichen Text auf SevenFiftyDaily muss man sich etwas Zeit nehmen, wird dafür aber mit ein paar Einsichten belohnt – und auch mit ein paar Argumenten, die man gegen immer lauter werdende Stimmen in Stellung bringen kann, die Alkohol und seinen Konsum dämonisieren. Laura Catena, eine in Standford ausgebildete Mediziner, die als Spross einer Weinbaufamilie auch Erfahrungen als Winzerin verfügt, erklärt darin, welche Punkte womöglich für einen Alkoholkonsum sprechen und warum viele Forschungen, die die Gefahren von Alkohol anmahnen, auch von Organisationen gefördert werden, die Abstinenz propagieren. Natürlich meint auch sie nicht starken und missbräuchlichen Alkoholkonsum, der immer schädlich ist. Sondern moderaten. „Meine derzeitige Position wird von vielen Ärzten, Wissenschaftlern und Forschern des öffentlichen Gesundheitswesens geteilt, die über jahrzehntelange Erfahrung auf diesem Gebiet verfügen“, schreibt sie. „Nehmen Sie die besonnenen Worte von Dr. Gregory Marcus, einem Kardiologen und Professor für Medizin an der University of California, San Francisco, der im September im Forum von KQED über mäßigen Alkoholkonsum sprach: „Die aktuellen Beweise für Gesundheit und Schaden sind ziemlich gleich.““
Zuerst kam der Umzug von Kopenhagen nach New York, ein Jahr später schon die eigene Bar: Wie das New Yorker Magazin Grub Street berichtet, hat Empirical eine Bar namens 53 AD eröffnet. Die Ziffer steht dabei, recht simpel, als Abkürzung für die Adresse 53 Scott Avenue, während AD für After Dark steht – und jeder Drink auch mit diesen Kürzeln beginnt, wie etwa der Always Disco mit Soka, Clementinen und Cold Brew, der mit Seidentofu zum Milk Punch wird, oder der Always Domini, eine Variante des Martini mit dem hauseigenen Produkt Ayuuk und Manzanilla-Sherry. In unserem aktuellen Serie über die besten Bars in New York haben wir die Neueröffnung noch nicht dabei, aber beim nächsten Besuch unseres Autors Manuel Bieh steht eine Visite sicher auf der Tagesordnung.
Wechsel an der Spitze bei Moët Hennessy: Wie The Spirits Business berichtet, wird CEO Philippe Schaus das Luxushaus nächstes Jahr verlassen und vom bisherigen CFO Jean-Jacques Guiony ersetzt werden. Schaus war seit Oktober 2017 CEO von Moët Hennessy, der Wein- und Spirituosensparte von LVMH, wo er den Posten von Christophe Navarre übernommen hatte, und seit insgesamt 21 Jahren beim Luxuskonzern mit Hauptsitz in Paris, den er nun verlassen wird, um „ein neues Kapitel aufzuschlagen und sich auf nicht-leitende Funktionen zu konzentrieren“. Ebenso wird der Sohn des LVMH-Vorsitzenden und CEO Bernard Arnault, Alexandre Arnault, ab Februar als stellvertretender CEO von Moët Hennessy tätig sein und in den Bereich Wein und Spirituosen wechseln, nachdem er zuvor bei der hauseigenen Luxus-Schmuckmarke Tiffany gearbeitet hat.
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Unser Autor Martin Stein ist ein Cocktailreisender, der seine Zeit am liebsten in Bars verbringt. In seiner Serie „Steins steter Tropfen“ geht es um gute Getränke und Gedanken, die sie verbinden. Es geht um Beobachtungen von unterwegs und Betrachtungen von der anderen Seite des Tresens. Diesmal: zu Gast bei der Verleihung der World’s 50 Best Bars – und wie diese als Abbild unserer Gesellschaft taugt.
Gleich mal ein einleitender Exkurs: Das Leben des Getränkejournalisten ist ein Leben voller spannender, wenngleich auch anstrengender Brüche. Die Teilnahme an einem ungekannten Luxus wird begleitet vom alltäglichen Existenzkampf; das Leben oszilliert flink zwischen Prunk und Prekariat, zwischen Gucci und Gosse. An sich auch direkt mal ein Buch wert.
Gut, Augen auf bei der Berufswahl, und nachdem einem als Barbesitzer das eigene Geld weggeschmolzen ist wie die Hohleiswürfel am Christopher Street Day, wird man eben im zweiten Bildungsweg sowas wie der Didi Hamann der Getränke – wobei Nörgeln im Fußball schon deutlich besser bezahlt wird.
Die Erlebnisse im Job sind allerdings nicht mit Gold aufzuwiegen, und die Erfahrungen gehen weit über die Erkenntnis hinaus, dass das Vier Jahreszeiten in München die besten Pralinen macht. Auch wenn ein bisschen Gold ab und an nicht schlecht wäre, so hat man doch das Privileg, weltweit die Besten ihres Faches kennenzulernen, und das ist erhellend, bereichernd (also, in einer nicht materialistischen Weise) und auch motivierend. Außerdem gibt es oft Häppchen, bei deren Genuss man sich in Ruhe überlegen kann, ob man sein Leben nicht doch noch herumreißen sollte.
Praktisch ist es, wenn sich viele Häppchen und viele tolle Menschen am selben Ort befinden. Vor allem deshalb sollte man mal auf die Gala der World’s 50 Best Bars gehen. Greatness und Getränke, und dazu viele kleine Häppchen, die zum Sinnieren über das Leben anregen und einem darüber hinaus nicht das Gefühl geben, sich zu überfressen.
Natürlich finden alle die 50 Best Bars blöd. Also, alle außer den tatsächlichen „50 Best“, und vielleicht auch noch die Plätze zwischen 50 und 100. Es gilt also, bei der Lese am Weinberg der Kritik sorgfältig zwischen den sauren und den süßen Trauben zu unterscheiden. Punkt eins: Natürlich ist die Liste der 50 Best Bars nicht gerecht. Sie sind aber auch nicht ungerecht. Welche Auszeichnung ist schon gerecht? Seit der Auszeichnung von Mario Gómez als bestaussehender Fußballer des dritten Jahrtausends gab es keine gerechten Auszeichnungen mehr.
Aber: Sips, Paradiso, Connaught – die Gewinner der letzten Jahre sind allesamt brillante Bars mit einem einzigartigen Charakter. Soweit ich das beurteilen kann, reiht sich der diesjährige Gewinner, das Handshake Speakeasy aus Mexiko City, ganz gut ein, auch wenn manche doch eher die Bar Leone aus Hongkong noch einen Tick weiter vorne gesehen haben.
Wie sind denn die Maßstäbe, was wirklich, wirklich gut ist? Subjektiv sind sie auf jeden Fall, was die Macher der 50 Best Bars auch zugeben, und das ist gut so. Auf welcher Ebene soll man die Atlas Bar in Singapur mit dem Satan’s Whiskers in London vergleichen? Als würde man Fußball mit Tennis vergleichen, weil bei beidem ein Ball dabei ist. Entscheidend ist, dass Menschen generell gerne eine Liste wollen mit einer Eins und einer Zwei und einer 17 und einer 44, und zwar im vollen Bewusstsein dessen, dass die Kriterien in ihrer Schnittfestigkeit eher einem Salzburger Nockerl gleichen als einer Salami. Gestehen wir es uns ein: Wir wollen die Noten. Wir wollen kein „Kevin hat sich immer ausgezeichnet in den Unterricht eingebracht“ und auch keine Fußballturniere mit Medaillen für die Teilnahme anstatt fürs Gewinnen. Wir wollen Sieger und Verlierer sehen – und dann wollen wir uns anschließend darüber aufregen, wie ungerecht alles abgelaufen ist.
Ob man sie mag oder nicht: Die List der 50 Best Bars ist bedeutend, und wenn man es in die Liste schafft, zahlt sich das aus. In Renommee und in harter Währung. Wie also kommt man rein? Herrscht Waffengleichheit beim Kampf um die Plätze?
Fuck no!
Die 50 Best sind sozusagen ein Abbild unserer Gesellschaft – jeder kann nach oben kommen, aber manche haben ein bisschen Vorsprung. Oder auch ein bisschen mehr Vorsprung. Möglicherweise gibt es eine Bar in Äquatorialguinea, so unglaublich großartig, dass sie alle bisherigen Preisträger in den Schatten stellen würde – sie bliebe bloß vermutlich auf alle Ewigkeit unbemerkt. 28 „Academy Chairs“ mit 700 Stimmberechtigten weltweit bringen ihre Meinung in den Entscheidungsprozess mit ein, aber auch die gierigste Leber kann sich nur in einem Bruchteil der in Frage kommenden Lokale gehärtet haben.
Also geht es für die Bars nicht nur darum, gut zu sein, sondern vor allem auch darum, dass das jemand bemerkt; bevorzugterweise jemand mit einem Stimmrecht. In den letzten Jahren hat das dazu geführt, dass mehr und mehr ambitionierte Bars spezialisierte PR-Agenturen anheuern, um sich diese Aufmerksamkeit zu sichern. Bars mit PR-Agenturen. Es klingt immer noch eigenartig. Aber so ist sie, die Moderne des globalen Bartendings.
Und so kommt man dann herum und sieht Bars, die Geld dafür ausgeben, um gesehen zu werden. Natürlich fehlt den meisten „normalen“ Bars die Schwungmasse, um sich so etwas leisten zu können. Andererseits kann man sich auch die Frage stellen, ob Bars unterhalb dieser Schwungmasse überhaupt globale Relevanz haben können. Es sind tatsächlich auch nach wie vor etliche Lieblingsbars in der Liste vertreten; das vorhin erwähnte Satan’s Whiskers etwa, und auch das Mailänder 1930 oder auch das Himkok aus Oslo – und Norwegen ist ja auch so etwas wie das Äquatorialguinea Europas, da kommt man auch nicht so zufällig vorbei. Man muss schon was machen für die allgemeine Aufmerksamkeit, und mit Geld allein ist es nicht getan.
Als ehemaliger (wohlgemerkt erfolgloser) Barbetreiber sieht man auch immer mal wieder Bars, bei denen man sich denkt: „Was auch immer die da machen, Geld verdienen kann’s nicht sein.“ Cool, einfach nur sorgenlos schön sein zu dürfen, die meisten anderen haben es da schwerer. Das ist wie im richtigen Leben: Man könnte so ungestört vor sich hin brillieren, wenn nicht die Miete zu zahlen und der Kühlschrank zu füllen wäre.
All das im Hinterkopf, kann man sich dem Reiz der Preisverleihung, in diesem Jahr in Madrid geschehen, nicht entziehen. Diese wird sehr professionell und auch zügig durchgeführt, was bei 50 Bars plus diversen Zusatzpreisen essenziell ist, schon weil die Getränkeversorgung während der Zeremonie eingestellt wird. Nicht blöd, die Organisatoren. Alle passen brav auf. Ich auch.
Die Ritter vom roten Schal, der versammelte Bar-Adel, die Begierde jedes Einzelnen der 1.500 Gäste, sich vor der 50 Best-Fotowand ablichten zu lassen: Es wäre leicht, sich darüber ausgiebig lustig zu machen. Leider sind der Stolz und die Freude in den Gesichtern auch ziemlich ansteckend, und man will viel eher mitfeiern anstatt sich distanzieren.
Individuelle Auszeichnungen etwa für Monica Berg und Iain McPherson, da ist nun wirklich jeder damit einverstanden. Der Sustainable Award wird Gottseidank nicht vom Hauptsponsor gestiftet. Handshake Speakeasy wie gesagt beste Bar des Jahres, und das ist auch bedeutend für ganz Südamerika, da zum ersten Mal überhaupt eine Bar außerhalb von Europa und Nordamerika den Spitzenplatz eingenommen hat. Wer es bei uns noch nicht gemerkt hat: Es sind in den letzten Jahren ganz neue Sternbilder im Barkosmos entdeckt worden, und das Handshake hat sich definitiv auch mehr den Arsch als den Geldbeutel aufgerissen.
Es geht hier ums Geschäft, und die Organisation rund um die 50 Best-Auszeichnungen ist, man mag es kaum glauben, gewinnorientiert. Bars sind das übrigens auch. (Und man kann, nur so nebenbei, als Baretreiber natürlich auf das ganze Spektakel verzichten und trotzdem eine erfolgreiche Bar führen.) Mal schauen, ob eines Tages jemand den Marlon Brando gibt und den Preis ablehnt. Vielleicht werde ich mir irgendwann meine Biografie noch nachträglich ethisch aufhübschen, aber so kurz nach der 50 Best-Gala gibt es sowieso noch zu viele Zeugen der ungeschminkten Wahrheit. Die Gala, die Feier, das Brimborium, die sich selbst Feiernden, die ansonsten immer nur die Feste der anderen ausrichten: Das hat schon was.
Ich finde Mandarin Oriental tatsächlich etwas besser als Ibis. Und möglicherweise habe ich auch ein peinliches Selfie mit einer herumliegenden Trophäe gemacht. Hat sich gut angefühlt. Ich verstehe es vollkommen, so etwas gewinnen zu wollen. Ein Platz unter den 50 Best Bars ist jedenfalls nicht so leicht zu haben wie ein Bundesverdienstkreuz, kommt mir vor.
Natürlich bin ich persönlich nicht käuflich, aber vielleicht wurde mir auch nur noch nicht genug geboten. Don’t stop trying. Ich mache mir derweil ein kleines Fläschchen Perrier auf, weil die französische natürliche Kohlensäure meinem unbestechlichen Gastronomengaster einfach am besten konveniert. Allein die Eleganz der Bläschen! Schlank und prickelnd! Diese Perlage, wie sie aber mal so richtig ordentlich perlt!
Aaaaaaaaah! Prost.
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Still, bescheiden und teils bewusst unter dem Radar des täglichen Szene-Geblubbers hat Mario Messig seine »Bar Garçon« zu einer der interessantesten Bars des Landes und einer der beliebtesten Trinkstätten in München gemacht. Das liegt nicht nur an den Vinly-Platten. Ein Interview mit einem, der nicht anders kann, als zu hinterfragen. Und dann zu machen.
Am Tag des Interviewtermins mit Mario Messig in seiner Bar Garçon herrschen in München 30 Grad Außentemperatur. Doch first things first, Messig legt zunächst eine Platte auf: »Channel Orange« von Frank Ocean. Erst dann schaltet er die Ventilatoren an und das Gespräch kann beginnen.
MIXOLOGY: Mario, woher kommt das nochmal mit den Vinyl-Platten?
Mario Messig: Ich habe früher schon viel mit Platten aufgelegt und hier im Laden ist die Soundqualität so einfach schöner, differenzierter. Digitale Musik wäre in diesem Raum viel zu präsent, zu laut. Die Musik soll eher eine Decke sein, die die Gespräche der Gäste intim hält.
MIXOLOGY: Du hast mal erzählt, dass die Lautstärke auch ein Grund ist, warum es hier im Garçon nur gerührte Drinks gibt…
Mario Messig: Ganz genau. Die Bar nimmt hier so viel Platz ein, das ist so, als würdest du bei jemandem zu Hause am Küchentisch sitzen. Wenn ich also shake, können sich die Gäste an der Bar nicht mehr unterhalten und ich kann dann keine Gespräche mehr mit dem Gast führen – und ihn nicht mehr in Ruhe beraten. Die Beratung ist mir aber wichtig. Also ist das die Konsequenz.
MIXOLOGY: Und zu welchem Drink würdest Du heute raten?
Mario Messig: (grinst) Na, zu einem, der zum Sommer passt! Eine Margarita, also fast: unsere »Biarritz Margarita«.
MIXOLOGY: Wie unterscheidet die sich von der normalen Margarita?
Mario Messig: Sie enthält keinen Tequila, sondern ungelagerten Traubenschnaps und weißen Portwein. Das ist auch voll schön, weil wir da Trauben mit Trauben kombinieren (Messig lächelt und betrachtet den fertigen Drink, der mit Meersalzflocken und einer Zitronenzeste garniert ist) Das ist ganz schön viel Garnish für meine Verhältnisse!
MIXOLOGY: Ja?
Mario Messig: Ja! Also hier passt es ja voll, weil Meersalz und Zitronenzeste etwas für das Mundgefühl und den Geschmack beitragen, aber sonst…
MIXOLOGY: Hast Du was gegen üppige Garnituren?
Mario Messig: Naja, die wenigste Deko ist essbar und trägt nicht wirklich so viel zum Drink bei. Zesten von Zitrusfrüchten sind ja prima, weil ich die Zitrone sowieso brauche. Aber gedörrte Sachen zum Beispiel: Das investiert man Energie und Zeit, um letztendlich etwas Nicht-Genießbares zu erhalten. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich finde es unnachhaltig, etwas zu produzieren, das dann im Müll landet.
MIXOLOGY: Nachhaltigkeit ist für Dich sowieso ein großes Thema. Wie kam es für Dich dazu?
Mario Messig: Ich habe mich schon länger privat damit beschäftigt, wie ich nachhaltiger leben kann. Ein bedeutender Denkanstoß war 2018 die Geburt meines Sohnes. Da hat sich mir so richtig der Gedanke aufgedrängt: Was hinterlassen wir hier eigentlich? Oder genauer gesagt: Was hinterlasse ich hier eigentlich meinen Kindern? Ich esse zu Hause ja zum Beispiel auch regional und saisonal, aber dann habe ich in meiner eigenen Bar Sachen aus Übersee und das das ganze Jahr über?! Das hat für mich nicht mehr zusammengepasst.
MIXOLOGY: Und wie bist Du dann an die Umsetzung gegangen?
Mario Messig: Tatsächlich habe ich mich das gesamte Jahr 2019 damit beschäftigt, wie ich mein Angebot im Laden anpassen kann. Bio-Produkte, konsequente Mülltrennung – alles prima, aber der Umstieg auf europäische Produkte war eben wirklich der größte Hebel. Als ich dann mit Branchenkolleg:innen darüber gesprochen habe, wurde ich gewarnt: »Mach das bloß nicht!« Ich hatte natürlich auch die Sorge, dass es wirtschaftlich nicht funktioniert. Aber bisher läuft es.
MIXOLOGY: Ohne Probleme?
Mario Messig: Naja, am 1. Januar 2020 waren die Regale dann auch erstmal deutlich leerer (lacht). Aber meine Backbar ist jetzt gut gefüllt und ich entdecke auch immer neue Sachen, aber ja – es ist auch immer noch mit Aufwand verbunden. Ich bestelle teilweise bei fünf bis sechs Lieferanten, um Produkte in der Qualität zu bekommen, die ich brauche. Aber so ist es eben. Ich mache das ja aus eigener Überzeugung.
»Wenn ich in eine Bar komme, dann will ich eine Pause machen von den Krisen der Welt.«
— Mario Messig
MIXOLOGY: Wie nehmen das denn Deine Gäste wahr? Kommunizierst du diese Überzeugung auch?
Mario Messig: Das Thema Nachhaltigkeit ist ein brennender Herd, der uns alle betrifft. Aber ich will ja auch niemanden belehren, während er hier entspannen will in seiner Freizeit. Wenn ich in eine Bar komme, dann will ich eine Pause machen von den Krisen der Welt. Die Information, dass wir nur europäische Produkte verwenden, wird über eine Headline in der Karte kommuniziert und das ist auch ein schönes, natürliches Storytelling; etwas, woran sich die Gäste erinnern. Wenn nicht über den Text, kommen wir spätestens bei den Drinks dazu ins Gespräch.
MIXOLOGY: Wie entstehen denn die Drinks für die Karte?
Mario Messig: Im Allgemeinen orientieren wir uns oft an Klassikern, die wir dann spzusagen in unsere Sprache übersetzen: Also mit europäischen Zutaten und mit nicht zu viel Alkohol.
MIXOLOGY: Low-ABV ist auch noch eine Vorgabe, die Du Dir setzt?!
Mario Messig: Nicht drakonisch, aber schau mal, wir sind – auf eine Art – Drogendealer. Es geht mir darum, Verantwortung für das Wohlbefinden der Gäste zu übernehmen. Es macht einfach einen Unterschied, wie ein Gast den Laden verlässt, wie er sich am nächsten Morgen fühlt. Und außerdem ist dieser Raum hier auch so intim: Jemand, der durch Alkohol das Gefühl von Distanz und Lautstärke nicht mehr hat – das geht hier nicht. Ich sehe das als meine Verantwortung, als Gastgeber meine Gäste vor so einer Situation zu schützen. Also schaue ich bei Drinks, wie ich das Gift reduzieren kann.
MIXOLOGY: Also europäische Spirituosen und nur so viel Alkohol wie nötig. Aber wie setzt Du das beides konkret um?
Mario Messig: Ich schaue, wie ich die ursprüngliche Spirituose ersetzen oder eben reduzieren kann, ohne die Idee des Drinks zu sehr zu verändern. Letztendlich ist die Spirituose doch auch nur ein Teil des Geschmacksbildes. Ein Gast, der eine Margarita bestellt, will nicht Tequila mit Zitrone und Cointreau, er will den Geschmack dieser Kombination. Bei uns wird dann aus 5 cl Spirituose in einem Drink eben 3 cl plus 2c l Wermut. Das nimmt Schärfe, reduziert den Alkoholgehalt und gibt dem Ganzen eine neue Geschmacksebene. Aber klar, das fordert auch heraus: Wie bekomme ich den Geschmack eines Rum Martinez hin, ohne Rum zu verwenden? Mich kickt genau das, mir macht das Spaß. Und bisher fanden meine Mitarbeiter:innen das Arbeiten mit diesen Vorgaben eher immer spannend und nicht frustrierend – hoffe ich (lacht): Die Einschränkung ist ja gleichzeitig auch Inspiration. Man muss halt etwas rumprobieren, welcher Schraubenschlüssel passt. Dann kombiniere ich eben Traubenschnaps mit Wermut, um Tequila zu ersetzen. Und Rum-Trinker hole ich mit dem richtigen Brandy auch noch ab.
MIXOLOGY: Wie wichtig ist es, dass sich Deine Mitarbeiter:innen auch mit Deinem Konzept identifizieren? Ist das nicht eine zusätzliche Herausforderung bei der Personalsuche?
Mario Messig: Bisher hatte ich eigentlich nie große Probleme, Mitarbeiter:innen zu finden. Klar: Für die meisten, die hier angefangen haben, war diese Art von Backbar etwas ganz Neues, aber die hatten dann Bock drauf, neue Produkte kennenzulernen. Mein Konzept kann auch eine Identifikation sein und damit ein Grund, warum Leute hier arbeiten wollen. Das macht mich dann auch stolz, aber in erster Linie brauche ich gute Gastgeber. Menschen, die einfach den Gästen in einem schönen Umfeld eine gute Zeit bescheren wollen. Außerdem sind unsere Arbeitszeiten ziemlich fair, denke ich, und mir ist es wichtig, dass alle, die hier arbeiten, auch davon leben können. Ich will einfach nicht, dass sich jemand aufopfert für diesen Laden, weder meine Mitarbeiter:innen noch ich selbst. Ich habe ja eine Familie, der ich trotz Selbständigkeit und Abendschichten gerecht werden will. Das ist meine Herausforderung.
MIXOLOGY: Die Du wie löst?
Mario Messig: Klare Prioritäten. Beim ersten Kind ist es cool, am Abend zu arbeiten, gerade im ersten Jahr passt das so alles. Aber ab dem zweiten Kind klappt das nicht mehr so einfach. Das Erste braucht ja auch seine Aufmerksamkeit, und ich habe doch Kinder, weil ich an deren Leben teilhaben will. Natürlich gibt es zum Beispiel durch Krankheitsfälle heftige Phasen, aber es braucht eben die Perspektive, dass es wieder besser wird. Letzten Winter ist ein Mitarbeiter kurzfristig weggebrochen. Da war die Frage: Bekomme ich schnell Ersatz oder muss ich die Öffnungszeiten ändern? Kein Plan, ob das wirtschaftlich funktioniert hätte. Aber ich sehe das so: Den Laden kann ich verkaufen, meine Kinder bleiben für immer. Ich hatte dann einfach mal wieder Glück und konnte rechtzeitig jemanden finden.
MIXOLOGY: Klingt fast so, als müsstest Du nie Kompromisse eingehen…
Mario Messig: Es läuft irgendwie immer gut ineinander (lacht), deshalb hatte ich auch noch keinen Moment, an dem ich überlegen musste, von meinem Konzept abzuweichen. Es macht mich ja auch stolz, das alles so abbilden zu können. Das war wahrscheinlich auch das Schönste: Zu realisieren, ich kann hier so arbeiten, wie ich es für richtig halte, und es funktioniert. Wie cool ist das?! Aber ich habe natürlich auch schon Entscheidungen getroffen, die nicht so klug waren… Und aktuell, mit zwei kleinen Kindern, fehlt mir zum Beispiel die Zeit, um regelmäßig in andere Bars zu gehen oder zu Branchenevents zu fahren. Meine zeitlichen Schwerpunkte sind eben gesetzt und das ist gut so, aber es ist auch schade. Der meiste kreative Impact kommt für mich durch den Austausch mit Leuten aus der Branche. Auf den Misosirup, der auch in der Biarritz Margarita verwendet wird, hat mich zum Beispiel Anne Linden gebracht. Mit Verjus oder »Ghostlime« zu arbeiten, um außerhalb der Saison die Säure von Zitronen zu ersetzen, ist eine Idee, die ich von Lukas Motejzik bekommen habe. Ich freue mich darauf, wenn ich mich wieder mehr mit Gastronomen austauschen kann, auch um selbst zu teilen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe. Aber bis dahin kann man mich ja auch immer hier besuchen (lacht).
MIXOLOGY: Und was hast du noch für Ziele für die Zukunft?
Mario Messig: Naja, warum mache ich das denn hier? Warum fordere ich mich hier so heraus? Ich will die Welt retten… oder zumindest weiterhin meinen Teil dazu beitragen (lächelt). Aber hey, mir geht es so, wie es gerade ist, sehr gut: Ich habe einen tollen Laden, tolle Gäste, tolle Mitarbeiter:innen und vor allem eine schöne Zeit mit meiner Familie. Ich freue mich, wenn sich neue Möglichkeiten für die Bar ergeben und ich selbst wieder öfter welche besuchen kann. Aber eigentlich möchte ich einfach nur weiterhin das machen können, was ich will.
MIXOLOGY: Lieber Mario, wir danken Dir herzlich für das Interview.
Zur Person: Mario Messig wurde im Mai 1989 im damaligen Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) geboren und lebt seit 2007 in München. Sein Architekturstudium hat er sich durch Jobs als DJ und hinter der Bar finanziert. 2016 eröffnete er die Bar Garçon. Auf die Selbständigkeit hat er bewusst hingearbeitet, den Zuschlag für den Laden gab es – im zweiten Anlauf – nachdem »jemand anderes das Handtuch geworfen hat«. Messig ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Dieser Text erschien erstmals in der Print-Ausgabe 4-2024 von MIXOLOGY, dem Magazin für Barkultur. Information zur Bestellung eines Einzelheftes findet sich hier, Information zu einem Abonnement hier.
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Auf den jährlichen Bestenlisten sind Bars aus New York seit jeher Stammgäste. Sind sie aber wirklich so gut wie ihr Ruf? Unser Autor Manuel Bieh hat sich durch die US-amerikanischen Metropole getestet. In Teil Eins seines New York-Porträts geht es um die bekannten Namen der Szene. Und er hat dabei sogar eine kleine Überraschung miterleben dürfen.
Aktuell befinden sich sechs New Yorker Bars unter den Top 100 der internationalen sowie 12 oder den Top 50 der nordamerikanischen Listen der World’s 50 Best Bars. Erst einmal lässt sich festhalten: Die Freude über diese Plätze in den Bestenlisten ist meist groß, bringt aber neue Herausforderungen mit sich. Die Erwartungen der Gäste an die Drinks und den Service sind höher und der Leistungsdruck auf das Personal nimmt zu. Neue Bars oder solche, die bisher eher unter dem Radar waren, werden plötzlich einer deutlich größeren Gruppe von Menschen bekannt. Das kann insbesondere bei kleineren Bars dazu führen, dass es ohne Reservierung Tage im Voraus keinen Platz mehr gibt, oder nur mit viel Glück und Geduld. So waren etwa drei Versuche nötig, um im Zuge dieses Textes ohne Reservierung ins Double Chicken Please zu gelangen. Mit einer Ankunft 35 Minuten vor Öffnung der Bar war es dann tatsächlich möglich, sich den letzten freien Platz an der Bar zu sichern. Doch auch in anderen Bars sieht das häufig nicht besser aus. Wer es aber schafft, wird dann auch belohnt. Zwar reicht es nicht aus, „nur“ eine gute Bar zu sein, auch entsprechende Kontakte sind nötig, um auf einer der besagten Listen aufzutauchen. Nur Kontakte zu haben reicht hingegen auch nicht aus, und so kann man sich bei Bars, die es auf diese Liste geschafft haben, sicher sein, dass dort gehobene Standards erfüllt – und in vielen Fällen auch übererfüllt – werden.
Die angesagte Bar von GN Chan und Faye Chen, die als Popup-Bar aus einem Campervan startete und nun ihre feste Bleibe an der Lower East Side gefunden hat. Das Double Chicken Please besteht aus zwei Teilen: Dem vorderen Bereich, dem „Front Room“, in dem es in lässiger Pub-Atmosphäre premixed Drinks vom Zapfhahn zu fairen Preisen gibt, sowie dem „Coop“, also dem „Hühnerstall“. Letzterer ist für den anspruchsvollen Genießer der deutlich interessantere Teil. Aufgeteilt in Appetizers, Mains und Desserts offeriert die Karte zwölf herrlich durchdachte Drinks, die sich wie eine asiatisch-amerikanische Fusionsküche im Glas anhören. Drinks wie der Red Eye Gravy, der Thai Curry oder der Mango Sticky Rice sind an den Geschmack der Gerichte jeweils angelehnt und dabei hervorragend umgesetzt. Auch einige ausgewählte Klassiker haben den Weg auf die Karte gefunden. Die Einrichtung besteht aus viel Holz, wirkt warm und freundlich. Eine Vitrine mit der Trophäensammlung, die in das Holz eingelassen wurde, darf nicht fehlen. Eine Backbar gibt es hier nicht, die Flaschen sind vor den Blicken geschützt in Ausbuchtungen an den Stationen, was dazu beiträgt, dass die Bar sehr clean wirkt, ohne ins Ungemütliche abzudriften. Das Industrial Design-Studium von GN Chan war bei der Gestaltung sicherlich nicht von Nachteil. Bei einem Besuch führt außerdem kein Weg an einer Bestellung eines der verschiedenen Chicken Sandwiches vorbei. „Wenn du dort bist, bestelle ein Chicken Sandwich“ – ein Tipp, der von Bartendern anderer Bars immer wieder zu hören ist. Bleibt die Frage: Lohnt es sich, sich über eine halbe Stunde vor Öffnung der Bar die Beine in den Bauch zu stehen, um einen Platz zu ergattern? Drinks und Sandwiches entschädigen zumindest für die Warterei, zumal die Wartezeit in anderen Bars dieses Kalibers ähnlich aussieht. Wer weniger Stress am Eingang möchte, der reserviert vorher, allerdings ist auch das nicht einfach, da 75 Prozent der Plätze Walk-in Gästen vorbehalten sind. Hat man es erst einmal geschafft, bekommt man einen Slot von gerade einmal 90 Minuten. Ein wirklich entspanntes Bar-Erlebnis sieht anders aus.
Einen Steinwurf vom Double Chicken Please entfernt befindet sich das Attaboy. Dieses wurde 2012 an alter Stätte des Milk & Honey von Sam Ross und Michael McIlroy (wieder)eröffnet und serviert seitdem unprätentiös ganz hervorragende Cocktails ohne Menü. Ein Konzept, das nur funktioniert, wenn Bartender und Servicepersonal auf höchstem Level agieren, doch das ist hier zweifellos gegeben. „Worauf hast du Lust? Hast du eine Basis-Spirituose im Sinn? Einen Geschmack oder eine Stimmung, die du gern in deinem Drink sehen würdest?“ lauten die Fragen bei der Bestellung. Bei über 600 Drinks, die jeder Bartender hier im Kopf hat, ist für jeden der passende Drink dabei. Die Bestellungen sind dabei jedes Mal auf den Punkt, und zwar mit einer Präzision, mit der man das sonst sicher selten erlebt. Komplizierte, moderne Techniken kommen nicht zum Einsatz, einen Rotovap wird man im Attaboy ebenso wenig finden wie Sous Vide vorbereitete Zutaten oder gar Milk Punches. Es wird sich auf das konzentriert, worin man einfach unbeschreiblich gut ist: großartige Drinks mit Zutaten aus dem Regal. Nicht einmal die Orangenzeste im Manhattan wird übertrieben zurechtgestutzt. Ab ins Glas, passt. Hier geht es einfach lässig zu, und aus genau dem Grund kommt man als Gast gern hierher. Reservierungen werden keine angenommen, daher ist auch hier stets mit Wartezeit zu rechnen. Die Bar hat eben einen Namen in der globalen Barszene. Anders als in den meisten Bars der Stadt wird im Attaboy kein Barfood serviert, doch das stört hier wirklich niemanden.
Das Caffé Dante sicherte sich den Top-Spot auf der internationalen 50 Best Bars Liste im Jahr 2019 und ist seitdem fast durchgehend auf der internationalen sowie der Liste für Nordamerika präsent. Das kleine, unaufgeregte italienische Café an der MacDougal Street wird an dieser Adresse bereits seit 1915 betrieben. Nach einigen Wechseln des Betreibers hat es sich inzwischen fest als internationales Bar-Schwergewicht etabliert. 2019 kam eine zweite Dependance nur gut zehn Fuß-Minuten entfernt dazu. Die Ausrichtung ist klar italienisch. Es gibt viele Aperitivo-Drinks und eine tägliche „Negroni Session“ zwischen 15 und 17 Uhr, in der alle Negroni-Varianten für (für Manhattan durchaus erschwingliche) 15 US-Dollar zu haben sind. Dazu gibt es eine große Auswahl an Bitterlikören und italienischem Wermut. Der Tipp: der Dante Garibaldi. Neben großartigen Drinks kann man hier auch einen großartigen Service und ebenso gutes Barfood erwarten. Neben Käseplatten und Focaccia wird auch Pasta oder typisch italienische Flatbreads zum Drink gereicht. Wer dem ganzen die Krone aufsetzen will, besucht die Jazz-Session, die jeden Freitag stattfindet und der Bar nochmal einen ganz besonderen Charme verleiht. Das Publikum ist gemischt wie kaum irgendwo. Von der rüstigen Rentnerin über bekannte Hollywood-Schauspieler bis zum anspruchsvollen Cocktail-Connaisseur sind die Gäste hier durchmischt und facettenreich wie die Lower West Side selbst. Und auch für romantische Dates ist das Caffé Dante ein beliebter Spot. Auch Ernest Hemingway wird nachgesagt, hier seinerzeit bereits für den einen oder anderen Drink eingekehrt zu sein.
Das Overstory setzt die Messlatte für Rooftop Bars in mehrfacher Hinsicht extrem hoch. Mit Platz 17 auf der internationalen 50 Best Bars Liste sowie Platz 3 in Nordamerika wäre es zu kurz gegriffen, hier vor allem auf den 360-Grad-Ausblick aus dem 64. Stockwerk eines Wolkenkratzers im Financial District einzugehen. Denn die Qualität der Drinks sowie des Essens würde diese Position vermutlich auch rechtfertigen, wäre das Overstory ein dunkles Speakeasy. Auf der etwas Tequila- und Mezcal-lastigen Karte finden sich spannende eigene Kreationen, die allesamt wundervoll ausgewogen daherkommen. Aber auch Liebhaber von Whiskey, Rum oder Gin werden hier fündig. Das Barfood, das in Zusammenarbeit mit den in den Stockwerken darunter befindlichen Schwester-Restaurants SAGA (2 Michelin Sterne) und Crown Shy (1 Michelin Stern) entstand, komplementiert die Drinks hervorragend. Serviert wird hier etwa Chicken in Zitrus-Marinade oder Tuna Toast mit Chorizo und Ananas. Eine wilde Mischung, die aber von einer Küche umgesetzt wird, die ihr Handwerk mehr als versteht. Preislich bewegt sich das Overstory mit 24-27 $ pro Drink selbst für Manhattan-Verhältnisse im oberen Bereich. Jedoch sollte die Frage gestattet sein, ob man sich die Auffahrt zum Empire State Building nicht sparen und das Geld stattdessen besser gleich in einen Besuch des Overstory stecken sollte. Hier gibt es zum gleichen Preis neben der Aussicht nämlich auch einen Weltklasse-Drink und einen kleinen bis mittleren Snack. Wie sollte das Empire State Building da mithalten können?
Entspannt geht es zu, im Katana Kitten. Nach der freundlichen Begrüßung am Eingang geht es die Treppen hinauf in einen Gastraum, der erst einmal wirkt wie eine angenehme Mischung aus gemütlichem Pub und hochwertiger Bar. Japanische Poster an den Wänden deuten auf die Herkunft von Betreiber Masahiro Urushido hin. Ebenso wie die in Japan typische Selektion an Highballs. Ein kleines Highlight ist sicherlich der Toki Highball, der „frisch gezapft“ im Glaskrug serviert wird. Auch bei den Zutaten der Signatures ist der japanische Einfluss unverkennbar: Es wird mit Midori gearbeitet, mit Umeshu, Shochu oder Sake. Auch das Food Menü ist mit Nori Fries oder Popcorn Chicken mit Sesam unverkennbar japanisch. Die Bartender wiederum sind kommunikativ und verstehen es, für die richtige Stimmung zu sorgen. Der Service ist generell „outstanding“ und die Gastfreundschaft überragend. Das Klientel in der Bar ist typisch für das West Village: kulturell vielfältig, weltoffen und entspannt. Und so herrscht im Katana Kitten eine Atmosphäre, in der man schnell auch mit anderen Gästen ins Gespräch kommt, so dass es einem nicht schwerfallen sollte, hier einen schönen Abend zu verbringen. Oder auch gleich mehrere. Denn anders als in anderen Bars war es hier zumindest unter der Woche problemlos möglich, auch ohne Wartezeit noch einen Platz zu ergattern.
Wahrscheinlich die Neueröffnung des letzten Jahres: das Superbueno von Ignacio „Nacho“ Jimenez. Tagsüber eher ruhig, unscheinbar und vielleicht sogar etwas kühl, wird es im Verlauf des weiteren Abends zu einem Party-Hotspot. Die Stimmung ist mit mexikanischer Musik und zum Tanzen animierenden Bartendern einfach so ausgelassen, dass es schwerfällt, sich dort nicht mitreißen zu lassen. Die „Cocteles“ sind selbstverständlich hauptsächlich mit Mezcal, Tequila oder Corn Whiskey. Umgesetzt sind die typisch mexikanischen Signatures auf der weniger als zehn Drinks umfassenden Karte allesamt hervorragend und, klar, mit vielen mexikanischen Einflüssen. Zusätzlich zur normalen Karte gibt es außerdem saisonal wechselnde Specials, sowie Tacos, Nachos und Ceviche.
Während meines Aufenthalts wurde das Superbueno auf Platz 2 der 50 Best Bars in Nordamerika gewählt und gewann damit gleichzeitig den Highest New Entry Award. „We had absolutely no idea!“ gestand „Nacho“ Jimenez, nachdem der erste Jubel etwas abflachte und bevor die ersten Bengalos (!) in der Bar gezündet wurden. Für ein ausführlicheres Interview war der Lärmpegel im weiteren Verlauf des Abends dann einfach durchgehend zu hoch. Doch der Platz in der Liste kommt mit den, aus Gästesicht, eingangs erwähnten Nachteilen: War es in den Wochen vor der Veröffentlichung der Liste noch problemlos möglich, sich früh genug einen Platz an der Bar zu sichern, bildeten sich an den Tagen darauf bereits früh Warteschlangen vor dem Eingang.
Nichtsdestotrotz: Ein Preis, den jede Bar wohl gern bezahlt.
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Selbstbewusst nennt man sich „Rolls Royce der Bitters“ – mit einem Marktanteil von 85% sind die Aromatic Bitters aus Trinidad praktisch unverzichtbar. Was aber weiß man über Angostura? Nach dem Interview mit Terrence Bharath vielleicht ein wenig mehr …
Am Anfang stand ein Deutscher. Der schlesische Wundarzt Johann Gottlieb Benjamin Siegert war – angeblich nach Finanz-Streitigkeiten mit seinem Bruder – dem Aufruf Simón Bolívars gefolgt. Rund 300 deutsche Söldner, darunter die in den späteren Republiken Venezuela und Bolivien aktiven Generäle Johann von Uslar oder Otto Philipp Braun, zogen mit ihm in die südamerikanischen Unabhängigkeitskriege. Siegert richtete am Orinoco ein Militärspital ein, das 1824 auch die Geburtsstätte des „Amargo Angostura“ wurde. Was heute in den Bars dieser Welt Verwendung findet, hatte Siegert als Magen-Tonikum für die Rebellen konzipiert.
Auch wenn die weltbekannte Marke erst 1875, fünf Jahre nach J. G. B. Siegerts Tod, vom Festland nach Trinidad übersiedelt ist, feierte Port of Spain den 200. Geburtstag des Bar-Bitters groß: 650 Gäste füllten bei der Party den Ballroom des „Hyatt Regency“. Einer der Höhepunkte war der Rap, den der hoch seriöse „Kronanwalt“ (King’s counsel) Terrence Bharath dem „House of Angostura“ widmete. Der hauptberuflich in der Seidenrobe amtierende Spitzenjurist ist Vorstandsvorsitzender des Unternehmens.
Er würdigte auch die Familie, die bis 1982 Anteile an dem Unternehmen in Laventille hielt: Gordon Siegert sendete als Ur-Urenkel des Firmengründers und Waterloo-Veterans Grußworte aus seinem Herrenhaus in England. Für die Inselökonomie ist die Marke heute eines der wichtigsten Exportgüter (neben dem berühmten Trinitario-Kakao): 8% der Lebensmittelexporte entfallen auf die Flaschen mit dem „oversized“-Label, rechnete Wirtschaftsministerin Paula Goopee-Scoon bei der 200 Jahr-Gala vor. Mit rund 1,8 Millionen Liter Jahresproduktion übersteigt die Menge an Bitters sogar die der Einwohner der Karibikinsel (1,5 Mio. Menschen). „Kein anderes Produkt der Karibik findet sich in 170 Ländern“, so Vorstandsvorsitzender Terrence Bharath.
Ein Interview mit ihm hat Seltenheitswert. Dabei hat Bharath einiges zu sagen. Seit 2018 leitet er das „Board“ nach einem mehr als turbulenten Jahrzehnt. Dass das Unternehmen 2009 vor dem „Aus“ stand, hat ihn Europa kaum jemand mitbekommen. „Der Staat schoss damals 29 Milliarden Trinidad Dollars (ca. 4,3 Mrd. Euro, Anm. d. Red.) zu“, erinnert sich CEO Bharath an die bittere Zeit für den Bitter. Es führte aber zu der kuriosen Situation, dass der Staat Trinidad&Tobago zum Mitbesitzer des bitteren Imperiums wurde. Hätte man diese nicht getan, wäre nach der 2003 geschlossenen Brennerei „Caroni“ eventuell auch die letzte „TT“-Destillerie Geschichte gewesen. Informationen wie diese machten den MIXOLOGY-Besuch in Laventille spannender als die eigentliche Gala zum 200. Geburtstag von Dr. Siegerts Formel.
Vorangegangen war dem eine wilde Expansion der Muttergesellschaft „CL Finance“, einer Holding, die von Versicherungen über Methanol-Produktion und Hafen-Logistik bis zu Spirituosen-Firmen Beteiligungen hielt. Kurze Zeit gehörten sowohl Appleton Rum, als auch Belvedere, Cruzan Rum, Hine Cognac und sogar der US-Whiskey-Gigant „Lawrenceburg Distillers Indiana“ (heute „MGP“) zum Imperium, das nach der Finanzkrise implodierte. Schlimmer noch: „Es fehlte Geld von Angostura und wir wurden vom Börsehandel ausgeschlossen.“ Vorwürfe gegen einen CEO, importierten Rum zu „Made in Trinidad“ umetikettiert zu haben, brachten die so um Diskretion besorgte Bitter-Produktion kurz darauf weiter in die Negativ-Schlagzeilen.
„Ich denke, dass das Mysterium um Angostura wichtig ist“, lässt der Chairman keinen Zweifel, die Geheimhaltung um die Bitters weiter aufrecht zu erhalten. Diese nimmt nachgerade absurde Züge an: Botanicals etwa würden sogar extra angekauft, um falsche Fährten zu legen. Generell sind alle pflanzlichen Zutaten, durch die der Rum als Perkolat rinnt wie bei einem überdimensionalen Kaffee-Filter, nur mit Nummern kodiert. Auch der Zoll erhält keine Volldeklaration der Importe, sondern nur die Codes. „Sie dürfen aber alles durchleuchten.“ Vertragsbauern, die Gewürze in Trinidad anbauen, unterschreiben ein Geheimhaltungsdokument und dürfen für niemand anderen arbeiten. „Wenn wir die Formel veröffentlichen, würde massenhaft etwas Ähnliches zu einem viel niedrigeren Preis entstehen“, so Bharath.
So bleibt man auf die wenigen Eindrücke aus dem „Botanical Room“, dem Allerheiligsten von Laventille, angewiesen. Es riecht nach Sternanis, wo Rum und Botanicals in drei 45.858 Liter-Tanks gereift werden. Sie sind wie überdimensionale Angostura-Flaschen (inkl. dem Porträt des österreichischen Kaisers Franz Josef – der 1873 die Bitters mit Gold auszeichnete) gestaltet. Und die gesamte Weltproduktion entsteht in der kleinen Halle. Sie schwankt je nach Bedarf der globalen Barszene. „Angostura hat kein Ablaufdatum, was wir nicht gerne sagen, denn die Leute haben das dann zehn Jahre am Gewürzregal stehen.“ Wobei Trinidad, wo die Einheimischen gerne Obst, vor allem Äpfel, mit den Bitters würzen, nur einen Nebenschauplatz für den „Amargo Angostura“ darstellt.
Zum Finanzergebnis der diskreten Firma tragen die Rums am Heimmarkt weitaus mehr bei. Es sind dabei weniger die bekannten Exportqualitäten, sondern der hochprozentige „Forres Park Puncheon Rum“ (75% Vol.), der lokal geschätzt wird. Aktuell wird er auch als Basis eines Ready to drink-Punchs eingesetzt. „Fünf Prozent unserer Erlöse stammen aus dem Großhandelsbusiness mit Rum („bulk rum“), den Großteil macht der stark regionale Rumverkauf aus, die Bitters sind für rund 30 Prozent des Ergebnisses verantwortlich.“ Die Zahlen liefert der Chief Operating Officer Ian Forbes, der Jahrzehnte in Trinidads Getränkebranche (bei der Brauerei „Carib“) tätig ist. Und er macht klar, dass das Bittersgeschäft vor allem im Export blüht. Als Spitzenreiter gilt dabei die „Nelsen‘s Hall“ auf Washington Island/Wisconsin, die seit der US-Prohibition Angostura als „Shots“ verkauft. Angeblich sind es 30 Stück pro Tag, die dort über den Tresen gehen.
Unter die Ägide des „Chairman“ fiel auch die Erweiterung der Bitters um den Geschmack „Cocoa“. „Wir haben zum Glück immer noch Kakao-Bauern und wollten auch aus Umweltgründen diese lokale Produktion verwenden“, so Bharath. Weitere Flavours sind in absehbarer Zeit wohl nicht zu erwarten, denn die Beliebtheit des 200 Jahre alten Original-Angostura macht man in Trinidad auch daran fest, „dass er der vielseitigste ist und Drinks eben nicht in eine bestimmte Geschmacksrichtung treibt“. Apropos Cocktail: Aktuell versucht man auch, den Queen’s Park Swizzle in seiner Rezeptur schützen zu lassen. Der Signature Cocktail mit Angostura „soll als Marke weltweit registriert werden“. So wie es Pusser’s mit dem Painkiller oder Gosling’s mit dem Dark `N Stormy gelungen ist.
So weit ist es noch nicht. Und zuvor spricht Angosturas Top-Management zum „200er“ sogar über Zutaten! Denn für die in Schwarz-Gold gehaltene Jubiläumsedition des Bitters wurden Wermut, Muskatnuss und Angelikawurzel verwendet; die Basis der um rund 60 Euro gehandelten Limited Edition (120.000 Flaschen) stellt zudem dunkler Rum dar. Flankiert wird die 0,2 Liter-Flasche von einem Geburtstagsrum, der „Cusparia“ heißt. Seine einzelnen Komponenten sind allesamt mindestens 21 Jahre alt. Der 47% Vol. starke Rum reifte in Bourbon-, Madeira- und Cognac-Fässern. 1.824 Flaschen davon erinnern an Siegerts Geniestreich vor 200 Jahren.
Auch so kann man sich Jahreszahlen merken.
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Diese Woche ging wohl an niemandem spurlos vorbei. Wohin mit den Emotionen nach diesen politischen Erdbeben von Washington bis Berlin? Wir symbolisieren es mit einem Post von Jeffrey Morgenthaler, der er am Tag nach der US-Wahl gar nicht erst aus dem Bett gehen wollte; der es aber dann doch tat und die Kraft des gastronomischen Miteinanders spürte. „Wir wurden von Leuten aus der Nachbarschaft überschwemmt, aber auch von Freunden und Stammgästen, die aus der ganzen Stadt oder sogar aus den Vororten angereist waren. Und fast alle, die sich an die Bar setzten, sagten dasselbe: „Wir mussten euch heute Abend sehen, also sind wir hier“, schreibt er in seinem Post. „Wenn die Zeiten normal sind, ist es sehr leicht, dass dieser Job nur eine Plackerei ist wie jeder andere Scheißjob auch. Aber wenn die Zeiten wirklich hart sind und ihr uns sehen müsst, dann hat das irgendwie den gegenteiligen Effekt. Deshalb hier ein riesiges Dankeschön an alle, die gestern Abend gekommen sind, weil ihr uns gebraucht habt. Es war ein tolles Gefühl, gebraucht zu werden, und heute liege ich nicht mehr in meinem Pyjama unter der Bettdecke.“ Das tun wir auch nicht (mehr). Also ab in die Inventur der Woche.
Dieser Beitrag passt direkt zu der Wahl von Donald Trump, einem Gegner von Diversität und Inklusion. Wie der ausführliche Beitrag auf SevenFiftyDaily darlegt, fahren seit einiger Zeit viele Firmen in der Wein- und Spirituosenindustrie ihre Sparten zurück. 2020 hätten Unternehmen, angetrieben von der Black-Lives-Matter-Bewegung, Initiativen gestartet oder gemeinnützige Organisationen finanziert. Aber jetzt habe sich der Wind wieder gedreht und der Aktivismus gegen die „Woke“-Bewegung habe sich zu einem Schneeballsystem entwickelt, das Diversitätsprogramme in allen Branchen angreift. Zudem habe die Spirituosen- und Alkoholbranche mit rückläufigen Einnahmen zu kämpfen, weswegen der Rotstift schnell bei diesen Themen angesetzt wird. „Viele Getränkemarken unterstützen weiterhin verschiedene Gemeinschaftsinitiativen und gemeinnützige Organisationen“, heißt es in dem Text. „Aber innerhalb der Unternehmen ist DEI (steht für Diversity, Equity and Inclusion) auf dem Rückzug. Da der Alkoholabsatz einbricht, sind börsennotierte Unternehmen besonders anfällig für die Forderungen von Aktionären, diese Programme im Namen von Kostensenkungen zu streichen.“ Economics over ethics, oder wie war das?
Ein beträchtlicher Grund für weniger Einnahmen zumindest auf gastronomischer Seite sind No-Shows; also Buchungen, die von den Betroffenen dann nicht wahrgenommen werden. Für „Laien“ mag das unter die Kategorie „Ach ist ja nicht so schlimm“ fallen. Aber die Folgen für die Gastronomien sind oft ein doppelter Verlust, da die ursprünglich geplanten Einnahmen wegfallen und durch die Kurzfristigkeit des Ausfalls zeitlich nicht kompensiert werden können. Bar- und Restaurantbetreiber:innen hierzulande stöhnen immer wieder darunter, und es ist ein internationales Phänomen, wie The Spirits Business berichtet. In Großbritannien seien No-Shows wieder auf einem Rekordhoch, laut einer Umfrage würde 1 von 7 Personen nicht zu einem Termin erscheinen und diese auch nicht absagen. Auch hier spielt die ökonomische Lage eine tragende Rolle. „Die Ergebnisse zeigen einen direkten Zusammenhang zwischen der aktuellen Finanzlage und dem Anstieg der No-Shows … mehr als ein Viertel (29 %) derjenigen, die eine Buchung nicht wahrgenommen haben, gaben als Hauptgrund für ihr Nichterscheinen an, dass es ihnen „zu teuer“ wäre“, heißt es.
Nach all diesen bedauerlichen Meldungen mal etwas Positives: die Neueröffnung einer Bar. Eine Weile nämlich schon basteln und bauen Juliette Larrouy and Moe Aljaff an ihrem Schmuck, das in Kürze in New York eröffnen soll. An der Marke Schmuck basteln sie ohnehin schon länger, und in einem Interview mit dem Punch Magazine plaudern sie darüber, warum sie New York als Ort für ihren Neustart gewählt haben, wie sie ihre Bar zu zwar zu einer Marke, aber nicht zu einem Franchise machen wollen – und was sie unter dem „europäischen Stil“ verstehen, den sie im Big Apple etablieren wollen. „Wir versuchen, ein System zu entwickeln, bei dem jeder das Gefühl hat, Teil des Teams zu sein, und je mehr man hilft, desto mehr profitieren alle davon. Hoffentlich haben wir etwas Gutes getan“, so Moe Aljaff. „Oder der nächste Artikel wird von einem Haufen wütender Mitarbeiter handeln.“
Was ist der älteste Traum der Menschheit: Das ewige Leben? Zum Mars fliegen? Keinen Kater mehr? Geforscht wird an all diesen Dingen ständig. Und während unsere Galaxie immer noch keine Alternativ-Erde ausgespuckt hat, könnte man dem katerfreien Leben jetzt ein Stückchen näher gekommen zu sein, wie zumindest ein Artikel auf Zeit (Paywall) beschreibt. Es handelt sich um eine Art essbares „Anti-Kater-Gel“ aus Proteinfasern und Eisenatomen, das den Alkohol im Körper ohne die (den Kater verursachende) Zwischenstufe Acetaldehyd in harmlose Essigsäure umwandelt. Mäuse, an denen das Gel getestet wurde, würden sich nicht mehr orientierungslos im Labyrinth verlaufen, sondern trotz Alkoholkonsum den schnellsten Weg durch die Gassen finden. Laut Bericht könnte das Gel frühestens in eineinhalb Jahren zur Marktreife kommen. Aber Obacht: Das Gel wirkt nicht nur gegen den Kater. Es wirkt auch gegen den Rausch. Bislang zumindest.
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Es ist der Drink der Stunde. Oder vielmehr: Es ist die Technik der Stunde. Keine Barkarte, so scheint es, kommt ohne Milk Punches aus. Von Gastschichten ganz zu schweigen. Das wirft zwei Fragen auf: Ist das Ende der Fahnenstange erreicht? Oder kommt die große Klarifizierungs-Welle und der breitere Milk Punch-Trend erst noch?
Danil Nevsky ist aktuell einer der populärsten Seismografen der internationalen Barszene, der er vor allem durch Social Media seinen Stempel aufdrückt. Ein Weg zum globalen Ruhm des aktuell in Barcelona residierenden Cocktailman waren und sind seine berühmt-berüchtigten, zehnteiligen Instagram-Slides, die er einem bestimmten Thema widmet. Sprich: Die er durch den Kakao zieht. Mitte Juni dieses Jahres war der Milk Punch dran. Da wird dieser beschrieben als »Crystal clear glass of ›That’s Nice!‹« oder »How to tell a bartender doesn’t want to shake drinks anymore« oder »Takes 18 years to prep & 10 seconds to serve. Just like premature ejaculation.«
Diese Ehre, verballhornt zu werden, hat natürlich mit Relevanz zu tun: Persiflage macht erst Sinn, wenn das Objekt so bekannt ist, dass sich die meisten etwas darunter vorstellen können, sowie idealerweise auch an einem Scheidweg steht. Das scheint aktuell der Fall zu sein: Der Milk Punch ist überall. Transparent im Look und geschmeidig in der Textur, lacht er von Barkarten und Social-Media-Accounts von Albuquerque bis Zürich. Für einige ist Milk Punch daher bereits ein Reizwort. Die Frage aber ist: Ist er nicht für viele mehr noch ein Fremdwort?
Einer der eben erwähnten Slides von Nevsky lautete auch: »Nico de Soto Senpai, please notice me!« Das kommt nicht von ungefähr. Man wünschte, etwas anderes schreiben zu können, als dem demonstrativen Vielflieger Nico de Soto den Teppich auszurollen. Aber wer Milk Punch sagt, muss seriöserweise Nico de Soto sagen. Bekannt mag die Technik des Milk Punch seit dem Jahr 1711 sein, als die britische Hausfrau Mary Rockett sie erstmals niederschrieb, während Jerry Thomas 1862 in seinem Bartenders Companion den English Milk Punch aufführte oder nach dem Tod des Schriftstellers Charles Dickens über hundert Flaschen Milk Punch in dessen Keller gefunden wurden (besprochen in Drinking with Dickens seines Ur-Enkels Cedrick Dickens aus dem Jahr 1999, wo der Milk Punch einen gebührenden Platz einnimmt). Aber de Soto kann beanspruchen, den Milk Punch als Signature Move in die moderne Barkultur gehievt zu haben. Das war 2010. Mit seinem Drink Kota Ternate, entstanden im Experimental Cocktail Club in London, läutete er die Zehnerjahre ein, einem Drink aus Arrack van Oosten, Smith & Cross Rum, Plantation (jetzt Planteray, Anm.) Trinidad Overproof Rum, einer Spiced Tea-Mischung, Ananassaft und Milch.
Auch Dave Arnold bespricht die Klarifizierungstechnik durch die Kombination aus Säure und Milch in seinem wegweisenden Buch Liquid Intelligence aus dem Jahr 2014. Aber im Gegensatz etwa zum Klareis, dessen Verständnis durch dieses Werk in den erweiterten DIY-Fokus der Barszene rückt, bleibt der Milk Punch eine Kuriosität. Der Averell der Daltons-Brüder. Eine Technik, die bereits 1711 erwähnt wird, passt zwar in den Revival-Kanon, aber eigentlich widmet sich diese lieber dem Punch – ohne Milch. Es kommen die Zeiten von Smoking Gun, Zentrifuge und Rotovap. Der Milk Punch taucht mal hie im White Lyan auf, mal da in anderen Bars. Er setzt kleine, mediale Glanzlichter. Aber steht selten im Rampenlicht. Bei MIXOLOGY, wo seit Beginn 2003 jede erdenkliche Technik besprochen wurde, wird der Milk Punch erstmals 2015 online vorgestellt. Erst 2018 folgt ein Feature in der Print-Ausgabe.
2018 ist auch das Jahr, in dem Tarek Nix seinen ersten Milk Punch ansetzt. Damals noch im Berliner Provocateur, ist er heute eine Hälfte der Milk Punch Boys. Das Duo, das er mit Andreas Andricopoulos bildet, entstand 2020, aus »Jux und Tollerei«, wie Nix erklärt – aber vor allem als Antwort auf das große Corona-Loch. Als in dem Jahr, dessen Ereignisse uns heute so lange zurückliegen zu scheinen, alle Räder stillstehen, setzen die beiden die Filterhauben auf und produzieren Milk Punches. Ausschließlich. »Wir haben jeden einzelnen Schritt der Herstellung auf Social Media gestellt. Auf die ersten Stories haben wir so viele Reaktionen bekommen, dass wir erkannt haben: Die Leute interessieren sich dafür. Dann kamen Brands auf uns zu, mit denen wir kooperiert haben. So haben wir am Ende jeder Episode gratis 80 Drinks verschickt, die innerhalb von einer Stunde vergriffen waren«, erinnert er sich. »In jener Zeit ist der Milk Punch auch stärker in den Bars angekommen. Davor habe ich das nicht so stark wahrgenommen.«
Der Milk Punch also: ein Corona-Gewinner! Nachdem die Pandemie nach zwei traumatischen Jahren für beendet erklärt wird, explodiert die Reisewut der eingepferchten Bar-Community. Gastschichten sind seither das Gebot der Stunde. Überall im Gepäck: vorgebatchte Beutel und Flaschen. So wie es heute keinen deutschen Film ohne Lars Eidinger zu geben scheint, gibt es keine Karte oder Gastschicht ohne Milk Punch. Hand in Hand mit seinem Cousin, der Karbonisierung, infiziert die Klarifizierung die Bar-Welt. Denn plötzlich passt das ganze Paket: die Haltbarkeit, die Planbarkeit, die Transparenz, die Farbenfrohheit. Grün, blau, gelb, rot schimmern die geklärten Drinks im Glas – die Cocktails der 2020er sind längst so bunt wie die der 1970er-Jahre. Nur eben in transparent-bunt.
Als günstige Klarifizierungsmethode passt der Milk Punch auch in jede geografische Nische. Im nicht gerade für seine Barkultur bekannten Baden-Baden hat Arman Krayt Gülenay immer vier bis fünf Milk Punches auf der Karte seines Armando’s. »Wenn ich meinen Gästen die Karte aushändige, erkläre ich direkt die Signatures und klassischen Cocktails, aber eben auch, was mit Milch geklärte Drinks sind. Der Wow-Effekt ist groß, die Leute sind begeistert und erstaunt über den Aufwand, der dahintersteckt«, beschreibt der Einzelkämpfer. »Da wir damit ein absolutes Nischenprodukt haben und auch die einzigen hier in der Stadt sind, die Milk Punches anbieten, ist es für viele Leute mittlerweile ein Begriff.«
Auch die Einsatzmöglichkeiten sind mannigfaltig. Sigi Schot (Hammond Bar, Wien) hat ihren ersten Milk Punch ebenfalls zu Coronazeiten gemacht, inspiriert von ihrem damaligen Mitarbeiter Dominik Oswald. Seither gehören Milk Punches zum festen Repertoire der Wiener Bar, wo alle zwei Monate die Karte gewechselt wird. Der Ansatz ist jedoch, nie den kompletten Drink zu klären, sondern nur die Kombination aus Milchquelle, Säure, Saft und Zucker. Man klarifiziert also die nicht-alkoholischen Komponenten, um diese dann wie eine Cocktail-Zutat zu verwenden. »Durch die ›Molligkeit‹ der Milch – oder welche Alternative man auch verwendet – wird dieses texturelle Loch vieler alkoholfreier Drinks überbrückt, man bekommt großartige Geschmäcker und verhaut sich nicht den Wareneinsatz«, so Schot. Der Nachteil in ihrem Fall – die vergleichsweise kürzere Aufbewahrungsdauer durch die Abwesenheit alkoholischer Komponenten – macht genaue Planung wieder wett.
Für Thang Vieth Trinh wiederum, Barchef der neuen Bar 1705 im Kempinski Dresden, gehört der Milk Punch auch längst zur Grundausbildung. »Für unser Barpersonal ist der Milk Punch ein Teil des Basis-Trainings und der Einarbeitung. Da bei uns jeder sowohl im Service als auch hinter der Bar arbeiten muss, wird jeder in dem Thema geschult«, so Viet Trinh.
Dass der Milk Punch von den medienstarken Ranking-Bars der Metropolen bis in die Filterkaffee-Bastionen der Kleinstadt rauf- und runtergespielt wird, gefällt aber nicht jedem. Erste Ermüdungserscheinungen treten ein. Unser Autor Martin Stein schrieb im Juli in seiner Kolumne auf MIXOLOGY Online einen Text mit der Bitte, endlich damit aufzuhören. Irgendwann gehe einem dieses »spezielle kleine Geschmäcklein nicht mehr aus der Nase; es setzt sich fest, fast schon in der Kleidung, und es geht dann auch ganz schwer wieder weg … das Säuerliche, der Hauch von Milch … es ist schlicht nicht zu ignorieren. Eine, wenn nicht die prägende Charakteristik beim Genuss, ist definitiv ›Anklang von Babykotze‹«.
Die Stärke des Milk Punch ist eben gleichzeitig seine Schwäche. Er erlaubt jeder Person zu sehen, was sie will, wie bei Trickbildern, wo manche ein Kamel erkennen und andere einen nackten Körper. In ihrem Wesen ist die Klarifizierungsmethode entstanden, um Mischungen haltbar zu machen, vor allem aber auch, um wuchtigen Fusel weitaus wuchtigerer Zeiten abzumildern. Also um Ecken und Kanten abzupolieren und mit einem feinen, molkigen Mäntelchen zu überziehen. Aber diese Ecken und Kanten braucht eben auch mancher Drink. Aber nicht bei jeder Rezeptur macht ein Milk Punch Sinn: »Wir wenden Milk Punches vor allem an, wenn wir einen Drink mit einer neutralen Spirituosen-Basis aromatisch verstärken und mit anderen intensiven, alkoholfreien Zutaten harmonisieren«, beschreibt Viet Trinh. »Es gibt aber auch Spirituosen mit besonders markantem Aromaprofil, die nach der Klärung noch deutlich wahrzunehmen sind, wie zum Beispiel Mezcal oder ein junger, aber kräftig torfiger Whisky. So lassen sich kräftige Spirituosen mit feineren, nuancierten Zutaten zusammenbringen, ohne dass eine Seite untergeht.«
Der Milk Punch scheint ein Musterbeispiel des Spagats zu sein, den die Bar stets zwischen sich selbst und dem Gast machen muss. Während vorne in der Spitze der Avantgarde das erste Gähnen ausbricht, ist der Begriff hinten im Feld, beim Endkonsumenten, noch ein großes Fragezeichen. Ein Cocktail mit Milch? WTF?! Und diese Lücke zu füllen ist schließlich eine der Hauptaufgaben der Bar. »Ich differenziere zwischen Gast und Bartender«, so Viet Trinh. »Natürlich ist ein Milk Punch kein neues Kunststück mehr und der anfängliche Hype ist vorbei. Aber für die meisten Gäste ist es eine tolle, neue Erfahrung.«
Eine spontane Umfrage für diesen Beitrag auf unserem Instagram-Kanal unterstützt dieses Bild. Eine einzige Story mag keine akkurat in Auftrag gegebene Analyse sein, aber wir vertrauen unserer Crowd, die 196 Antworten ausgespuckt hat. Auf die Frage, wo der Milk Punch steht, haben 32 Prozent mit »Der Peak ist erreicht« geantwortet, während 59 Prozent der Meinung waren: »Da geht noch einiges.« 9 Prozent wussten nicht, was ein Milk Punch ist (angeblich!).
Auch Tarek Nix ist überzeugt, dass wir den Klarifizierungs-Peak noch lange nicht erreicht haben. Mittlerweile beliefern die Milk Punch Boys Restaurants mit ihren Kreationen, 30 Varianten haben sie mittlerweile im Angebot. Auch Caterings rücken ins Zentrum. »Meiner Meinung sind Milk Punches kreativ, weil es alles Signatures sind. Mit Zutaten, die nicht in einem Standard-Portfolio eines Standard-Caterers sind«, meint er. »Sie sind auch im Casual Fine Dining oder Sterne-Restaurants ein Thema. Dort wird mittlerweile nicht nur Wein angeboten, sondern auch alkoholfreie Begleitung und alkoholische Cocktail-Begleitung. Und nicht immer gibt es das Barpersonal dafür.«
Soeben kam Nix auch von einem Treffen mit einer Kinokette zurück, die interessiert ist an der Thematik. Wer weiß: Vielleicht gibt es dann ja bald einen Milk Punch zum dritten Teil von Dune.
Dann trifft Sanddorn auf Sandworm, gewissermaßen.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Print-Ausgabe MIXOLOGY 4-2024. Für diese Wiederveröffentlichung wurde er formal adaptiert und mit Links versehen, aber inhaltlich nicht verändert. Informationen zu einem Abonnement findet sich hier, Bestellungen zu einer Einzelausgabe hier. (Via Meininger-Verlagsseite)
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Die Geschichte muss nicht neu geschrieben werden – denn sie wird überhaupt erstmals geschrieben: In „Cocktails in Berlin“ unternimmt der Historiker Michael C. Bienert einen Rundumblick auf die Barkultur des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts der Hauptstadt. Ein absolut lesenswertes Werk, über dessen Entstehung wir mit ihm gesprochen haben.
Im Oktober 2024 erschien »Cocktails in Berlin. Geschichte – Bars – Rezepte«. Der Historiker Michael C. Bienert erzählt darin, wie der Cocktail im 19. Jahrhundert Berlin eroberte und die Bars ihre große Blütezeit der 1920er und 1930er Jahren erlebten. Dabei führt er an legendäre Orte wie die Bar des Eden-Hotels oder in den Kakadu und stellt historische Cocktails vor, die dort einst auf der Karte standen. 50 Rezepte, zahlreiche Abbildungen und 15 Porträts von aktuellen klassischen Bars machen das Buch zu einem unterhaltsamen und informativen Wegbegleiter für alle, die sich für gemixte Drinks begeistern. Armin Zimmermann hat ihn zum Interview gebeten.
MIXOLOGY: Lieber Michael, was hat dich dazu veranlasst, ein Buch über die Berliner Bar-Geschichte zu schreiben?
Michael C. Bienert: In dem Buch konnte ich zwei meiner Interessen zusammenführen. Beruflich beschäftige ich mich seit vielen Jahren intensiv mit der Geschichte Berlins im 19. und 20. Jahrhundert. Außerdem begeistere ich mich für klassische Cocktails. So war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis diese beiden Leidenschaften aufeinandertreffen mussten. Berlin verfügt heute über eine sehr dynamische und kreative Barszene, und ich habe mir die Frage gestellt, wie das eigentlich früher war. Das war der Anfang einer spannenden Entdeckungsreise, die mich nach wie vor fesselt.
MIXOLOGY: Mir gefällt, wie du deine Leser:innen auf eine wirklich faszinierende Reise durch die Bargeschichte Berlins zwischen den 1880er und 1930er Jahren mitnimmst. War es schwierig, historische Quellen zu finden?
Michael C. Bienert: Leider gibt es nicht die eine Bibliothek, die über eine Sondersammlung »Bars/Cocktails in der Stadt« verfügt, in der alles Wesentliche liegt. Das hätte meine Suche natürlich erheblich erleichtert. Stattdessen waren umfassende Recherchen in Archiven, alten Tageszeitungen, Magazinen und Rezeptbüchern erforderlich. Glücklicherweise habe ich als Historiker eine ungefähre Vorstellung davon, wo es Sinn machen kann, zu schauen, wo also eine relativ gute Aussicht besteht, tatsächlich fündig zu werden. Schon beim ersten Blick in die historischen Zeitungen stieß ich auf eine solche Fülle an Treffern, dass es mir fast den Atem verschlug: Artikel aus den späten 1890er-Jahren, die den Lesern das neue Phänomen „American Drinks“ erklärten, Werbeanzeigen für Neueröffnungen, Berichte über Cocktail-Wettbewerbe und vieles mehr. Historiker-Gold sozusagen. Sehr schnell wurde kmir lar, dass hier so viel Material schlummert, um damit leicht drei Bücher schreiben zu können. Im Landesarchiv Berlin habe ich mir die Gewerbe- und Bauakten von Lokalen der Zwischenkriegszeit angesehen. Im ersten Augenblick scheint das eine recht dröge Kost zu sein: Behördenunterlagen eben. Aber spätestens, als ich die Entwürfe für die Außenwerbung der legendären Bar „Kakadu“ und den Tischplan der Bar des Eden-Hotels in den Händen hielt, ging ein lauter Jubelschrei durch den Lesesaal. Mein absolutes Highlight ist aber das mehrbändige Gästebuch des »Roesch« am Kurfürstendamm. Ab 1928 war das eine der angesagten Ausgehstätten in der Stadt. Dort ging die Prominenz ein und aus. Die Eintragungen lesen sich wie ein »Who is Who« aus Kultur, Gesellschaft und Politik. Wie durch ein Wunder ist das Gästebuch erhalten geblieben und wird heute im Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim aufbewahrt. Eine Zeichnung aus dem Gästebuch, die Bartender »Charly« bei der Arbeit zeigt, hat es als Abbildung ins Buch geschafft.
»Weiterhin hat es mich erstaunt, wie viele Frauen in den Bars arbeiteten. Das läuft ganz unserer Vorstellung zuwider, dass es sich beim Bargewerbe früher ausschließlich um eine Männerdomäne gehandelt habe.«
— Michael C. Bienert
MIXOLOGY: Bist du auf Deiner Recherche auf Dinge gestoßen, die du nicht erwartet hättest? Gibt es interessante Anekdoten, die die Zeiten überdauerten?
Michael C. Bienert: Zwei Dinge haben mich tatsächlich überrascht. Wenn wir an historische Bars in der Stadt denken, dann tauchen vor unserem geistigen Auge Bilder aus der Fernsehserie »Babylon Berlin« auf: Die »wilden« 1920er-Jahre, glitzernde Paillettenkleider, Jazz, Bubikopf, Cocktails, Champagner usw. Ich war allerdings sehr erstaunt zu sehen, dass die entscheidende Hochphase der Barkultur in Berlin in die Zeit ab etwa 1900 fiel, also in die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg. Die große Zahl der behördlich erfassten Barbetriebe spricht diesbezüglich eine eindeutige Sprache. Berlin wurde in dieser Zeit zur modernen Metropole. Die Stadt wurde internationaler, und die Bars machten einen Teil dieser Veränderungen aus. Worauf ich hinaus möchte: Das faszinierende Nachtleben in Berlin während der Weimarer Republik entstand keineswegs aus dem Nichts, sondern es knüpfte an die Entwicklungen im Kaiserreich an. Die Cocktails sind dafür ein gutes Beispiel. Weiterhin hat es mich erstaunt, wie viele Frauen in den Bars arbeiteten. Das läuft ganz unserer Vorstellung zuwider, dass es sich beim Bargewerbe früher ausschließlich um eine Männerdomäne gehandelt habe. Wer sich die alten Ansichtskarten der einschlägigen Geschäfte ansieht, findet sehr häufig weibliches Personal hinter dem Tresen – und das bereits um die Jahrhundertwende! Nach dem Ersten Weltkrieg, als sich die gesellschaftlichen Konventionen spürbar lockerten, wurde das noch offensichtlicher.
Auch im Kinofilm lassen sich diese Spuren nachvollziehen: So spielt der Streifen »Ihre Majestät die Liebe« (1930) von Joe May in einer eleganten Berliner Tanzbar namens »Roxy«. Die Getränke für das reiche Publikum werden ausschließlich von Frauen gemixt, was als selbstverständlich erscheint. Im Mittelpunkt der Liebeskomödie steht die junge Barmaid Lia (gespielt von Käthe von Nagy), die schließlich nach einigen Irrungen und Wirrungen das Herz des charmanten Fred von Wellingen (gespielt von Franz Lederer) für sich gewinnt. Ein Happy End mit Cocktail. Dieser Befund spiegelt sich übrigens gleichfalls in den Gewerbeakten, denn nicht selten waren Frauen als Inhaberinnen oder stille Teilhaberinnen von Lokalen angegeben. Mein Lieblingsbeispiel hierfür ist die Sherbini-Bar in der Uhlandstraße, die im Frühjahr 1934 eröffnet wurde. Während der Ägypter Mostafa El Sherbini nach außen im Smoking die Rolle des Grandseigneurs ausfüllte und sich um die Gäste kümmerte, war seine Frau Iva die eigentliche Chefin des Ladens. Hinter dem Tresen hielt sie den Gummiknüppel bereit, um im Notfall aufmüpfige Kundschaft zur Räson zu bringen. Das Wissen um die frühen Frauen in dem Berufsfeld ist uns komplett verloren gegangen.
MIXOLOGY: Wie erklärt sich das?
Michael C. Bienert: Ich kann dazu nur Vermutungen äußern. Frauen arbeiteten in der zweiten Reihe der Bars. Es haben sich von ihnen so gut wie keine schriftlichen Unterlagen erhalten. Wir wissen ja selbst über das Gros der männlichen Bartender kaum etwas – von ganz wenigen herausragenden Persönlichkeiten wie Harry Johnson oder Harry MacElhone einmal abgesehen. Die sind nicht zuletzt deshalb in Erinnerung geblieben, weil sie Bücher mit Rezepten veröffentlicht haben. Das Geschäft mit den Drinks war schon vor 100 Jahren sehr schnelllebig. Eine deutsche Ada Coleman, die über Jahrzehnte eine große Bar geleitet hätte, ist mir aus dieser Zeit bislang nicht begegnet. Angesichts der großen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wäre eine solche Kontinuität auch recht ungewöhnlich gewesen. Die Gesellschaft war überdies sehr patriarchalisch, und ab den 1950er-Jahren hatten die Männer die alleinige Kontrolle über die Silbershaker.
»In den 1920er- und 1930er-Jahren hingegen wuchs schon eine neue Generation in den Beruf hinein, die quasi auf den Erfahrungen ihrer Vorgänger aufbaute, ohne dafür extra nach Amerika reisen zu müssen.«
— Michael C. Bienert
MIXOLOGY: Apropos »gesellschaftlichen Verwerfungen«: In den USA kam es durch die Prohibition zu erheblichen Veränderungen in der Barwelt. Bartender mussten sich umorientieren. Kamen sie aus den USA auch nach Deutschland?
Michael C. Bienert: Mein Eindruck ist, dass die große Zeit der Bartender, die ihr Handwerk in den USA erlernt hatten und dann nach Deutschland gingen, vor dem Ersten Weltkrieg lag. Damals waren die Berliner Zeitungen voll mit Stellenangeboten wie »Barkeeper mit Amerikaerfahrung gesucht«. Der Chefbartender im Hotel Adlon war viele Jahre der Amerikaner Charlie Jettinger, der zuvor im New Yorker Waldorf-Astoria gearbeitet hatte. In den 1920er- und 1930er-Jahren hingegen wuchs schon eine neue Generation in den Beruf hinein, die quasi auf den Erfahrungen ihrer Vorgänger aufbaute, ohne dafür extra nach Amerika reisen zu müssen. Wohl aber kamen zur Zeit der Prohibition viele Touristen aus den USA nach Europa und ließen es in den Bars Europas richtig krachen. Der für sie vorteilhafte Wechselkurs erlaubte es, dass die Cocktails in Strömen flossen.
MIXOLOGY: Aber das war doch sicherlich nur ein Zwischenspiel, denn nicht nur der Erste Weltkrieg zuvor, sondern auch die Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre und das Dritte Reich hatten doch große Auswirkungen auf die Bars in Berlin …
Michael C. Bienert: Ja, das auf jeden Fall. Der Erste Weltkrieg riss tiefe Wunden in die Community der Bartender, die sich zuvor sehr wohl als international verstanden hatte. Viele Verbindungen und persönliche Kontakte rissen ab. Die Wunden des Krieges verheilten im Frieden nur langsam. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 forderte unter den Berliner Bars einen hohen Tribut, viele Lokale mussten schließen. Interessant ist, dass nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 die Bars nicht über Nacht verschwanden. Stattdessen liefen viele Dinge zunächst weiter, wobei allerdings insbesondere jüdische Barbesitzer sehr rasch die Brutalität des neuen Regimes zu spüren bekamen. Wenn es um die sogenannten Arisierungen ging, dann war die Gastronomie davon genauso betroffen wie alle anderen Wirtschaftsbereiche. Da gab es keine Unterschiede. Juden wurden aus ihren Bars gedrängt und um ihren Besitz gebracht. Von Glück konnte sprechen, wer rechtzeitig Deutschland verließ und so noch das eigene Leben rettete.
Eine Besonderheit bestand indes in dem Umstand, dass in den Edelbars entlang des Kurfürstendamms und der Tauentzienstraße zunächst noch gewisse Freiräume fortbestanden. Diese Lokale wurden abends nicht nur von der Prominenz besucht – also Schauspieler, Unternehmer, Journalisten, Sportler, NS-Größen, hohe Beamte – , sondern auch die internationale Community in der Hauptstadt verkehrte dort. Dinge, die anderenorts von den Nazis bereits verfolgt wurden, waren hier noch möglich. Doch je mehr sich die Diktatur festigte, desto deutlicher schrumpften diese Räume, bis sie schließlich ab etwa 1938/39 ganz verschwanden. Im Normalfall befinden sich Bars nicht irgendwo am Rand einer Stadt im Vorort, sondern sie liegen mitten im Zentrum – dort, wo sich das Nachtleben abspielt. In Berlin war das nicht anders. Es hatte allerdings zur Folge, dass viele Bars, die die Anfangsjahre des Dritten Reiches überstanden hatten, im Bombenkrieg oder dann während der Kampfhandlungen im Frühjahr 1945 zerstört wurden. Wir alle kennen die Bilder von den Trümmerlandschaften rund um den Bahnhof Zoologischer Garten.
»Ich betrachte das Buch lediglich als einen ersten Auftakt. Im Laufe der Recherchen bin ich auf so viele offene Fragen gestoßen, denen ich gern noch weiter im Detail nachgehen möchte. Vor allem haben es mir die Biografien einiger Bartender wie etwa Max „Jimmy“ Kettner angetan.«
— Michael C. Bienert
MIXOLOGY: Mir gefällt, dass im Buch nach dem geschichtlichen Teil einige Berliner Bars beispielhaft vorgestellt werden. Doch nicht nur dadurch machst du dem Leser Lust, auszugehen, um Bars und Cocktails in ihrer Vielfalt zu genießen. Du hast auch eine Sammlung an Rezepten beigefügt. Nach welchen Kriterien hast du sie ausgesucht?
Michael C. Bienert: Mir war es wichtig, solche Rezepte vorzustellen, die in irgendeiner Weise in Beziehung mit Berlin stehen. Zudem sollte ihre Entstehung in den Zeitraum fallen, den ich im Buch beschreibe.
MIXOLOGY: Was bedeutet das konkret?
Michael C. Bienert: Der Bezug zur Stadt ist natürlich dort am größten, wo die Rezepte tatsächlich in einer Berliner Bar kreiert wurden. Ich bin in alten Zeitschriften und Rezeptsammlungen auf Mischungen mehrerer Bars aus den 1920er- und 1930er-Jahren gestoßen. Heute würden wir von den Signature Drinks sprechen. Die mussten natürlich unbedingt ins Buch aufgenommen werden. In anderen Fällen finden sich Drinks, die zwar anderenorts entstanden, die sich aber in Berlin nachweislich großer Beliebtheit erfreuten. Der Ohio Cocktail ist dafür ein gutes Beispiel. Die Leute waren geradezu verrückt danach. Einige Mischungen waren in den Metropolen Europas ähnlich bekannt wie heutzutage der Negroni, weshalb ich sie ebenfalls berücksichtigt habe. Insbesondere denke ich dabei an den Sidecar und den Monkey’s Gland. Auf der anderen Seite habe ich einzelne Rezepte ausgewählt, die es in Berlin nicht auf die Karten schafften – entweder weil sie offenbar den Geschmack nicht trafen oder bestimmte Zutaten nur schwer erhältlich waren. Cocktails mit frischem Limettensaft waren in der Zwischenkriegszeit eine schwierige Angelegenheit, weil sich die Transportwege für die Früchte einfach als zu kompliziert herausstellten. Also hielt man nach Alternativen zu den Limetten Ausschau. Auch so etwas finde ich spannend.
MIXOLOGY: Mir gefallen auch die Cocktailfotos sehr. Wie bist du auf den Fotografen gekommen?
Michael C. Bienert: Der Fotograf Thomas Schleinert ist ein guter Freund von mir. Er betreibt Fotografie zwar nicht hauptberuflich, aber er hat für Stimmungen und Menschen ein sehr gutes Auge. Ich kannte viele seiner Arbeiten, die sich vor allem mit Stadtfotografie auseinandersetzen. Mir war klar, dass er für ein solches Projekt genau der Richtige sein würde. Nach einigen Versuchen hatten wir den Stil gefunden: Uns ging es darum, das Glas mit seinem Inhalt in den Mittelpunkt zu stellen. Das bedeutete eine reduzierte Dekoration und möglichst wenig Ablenkung. Die Fotos sollten natürlich wirken. Keinesfalls wollten wir noch ein weiteres „Fun-Cocktail-Buch“ publizieren, sondern die Bildästhetik sollte den klassischen Drinks gerecht werden. Wenn uns das gelungen ist, dann freut mich das sehr.
MIXOLOGY: Ja, man merkt, dass sie mit viel Liebe aufgenommen wurden; auch die verwendeten Gläser haben mich fasziniert. Wo habt ihr sie gefunden?
Michael C. Bienert: Schön, dass Dir die Gläser gefallen! Die waren tatsächlich eine der großen Herausforderungen. Wir sind durch unzählige Trödelläden gezogen, um die passenden historischen Gläser für die Cocktails zu finden. Zudem habe ich im Netz viele tolle Sachen entdeckt. Die schönsten Exemplare kommen fast alle aus England. Ergänzt haben wir das mit einigen modernen Gläsern, die zu den klassischen Cocktails passen. Aus praktischen Gründen waren wir vor allem an Einzelstücken interessiert, denn am Ende des Projekts sollte schließlich nicht ein privates Gläsermuseum stehen, das fortan in meinem Gästezimmer einstaubt. – Ok, das Gläsermuseum habe ich jetzt trotzdem… Wenn jemand eine gute Idee hat, was ich damit anfangen kann, der möge sich bitte gern bei mir melden.
MIXOLOGY: Was mich und sicherlich auch die Leser deines Buches interessiert: Hast du vor, weiter in die Berliner Cocktail-Geschichte einzutauchen? Hast du Pläne für die Zukunft?
Michael C. Bienert: Ja, das Thema wird mich auch künftig begleiten. Ich betrachte das Buch lediglich als einen ersten Auftakt. Im Laufe der Recherchen bin ich auf so viele offene Fragen gestoßen, denen ich gern noch weiter im Detail nachgehen möchte. Vor allem haben es mir die Biografien einiger Bartender wie etwa Max „Jimmy“ Kettner angetan. Er arbeitete in der Bar des Eden-Hotels. Auch die Bands der bekannten Tanzbars am Kurfürstendamm bieten noch viel Stoff, zumal teilweise Tonaufnahmen überliefert sind. Vielleicht lässt sich darüber hinaus ein Workshop oder eine kleine Konferenz mit gleichgesinnten Forscherinnen und Forschern organisieren, um das Thema »Cocktail-Geschichte« auf einer noch breiteren Grundlage mit wissenschaftlicher Substanz anzugehen. Da Cocktail- und Bargeschichte für mich in erster Linie Stadtgeschichte ist, bietet sich ebenso eine ordentliche Lehrveranstaltung an. Aber das alles ist im Moment noch Zukunftsmusik.
MIXOLOGY: Lieber Michael, vielen Dank für diese Einblicke in dein Buch. Für mich ist es endlich wieder ein Cocktailbuch, bei dem ich viel gelernt habe und das ich gerne immer wieder in die Hand nehme. Ich möchte deshalb eine unbedingte Kaufempfehlung aussprechen! Hier geht es zur Leseprobe.
Zur Person:
Dr. Michael C. Bienert (*1978) ist Historiker. Seit 2011 ist er Geschäftsführer der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv am Landesarchiv Berlin.
Zum Buch:
Cocktails in Berlin. Geschichte – Bars – Rezepte. Von Michael C. Bienert.
Gebunden, 240 Seiten, 20 x 27 cm, ca. 90 Abbildungen und Fotografien.
ISBN 978-3-8148-0305-0. 1. Auflage, Oktober 2024. 28,– €.
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